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Verschiebung der Weltordnung: Wie Chinas geopolitischer Einfluss wächst

Andrew McCaffery

Andrew McCaffery - Global CIO, Asset Management

Russlands Krieg in der Ukraine könnte das politische Machtgefüge weltweit radikal verändern. Chinas Einfluss wird auf Dauer wachsen. Kurzfristig hat das Land aber ein paar Probleme. Und viele Fragen bleiben offen.

Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine haben die USA, die EU, Großbritannien und andere westliche Länder beispiellose Wirtschafts- und Finanzsanktionen verhängt. Damit rückt eine neue Politik der Abschottung ins Rampenlicht, die die Verflechtung und gegenseitige Abhängigkeit zwischen den Ländern des Westens und des Ostens nachhaltig verändern könnte. In drei Jahrzehnten rasanter Globalisierung hatten sich die Verflechtungen auf wirtschaftlicher, finanzieller und gesellschaftlicher Ebene immer weiter vertieft. Der Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre gilt im Rückblick als Ausgangspunkt dieser Epoche, die sich mit Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO Anfang der 2000er Jahre noch beschleunigte. Nun steht die bestehende geopolitische Weltordnung auf äußerst wackeligen Füßen.

Die Zahl der Indizien dafür, dass größere tektonische Verschiebungen im Gange sind, ist in den vergangenen Wochen gestiegen. So haben sich die nationalen Interessen der großen Militär- und Wirtschaftsmächte so stark auseinanderentwickelt, dass nun Krieg auf europäischem Boden herrscht. Dieser wiederum verändert die Verteidigungs- und Energiesicherheitspolitik der verbündeten Nationen tiefgreifend. Vor allem Europa, das derzeit von russischem Gas und Öl abhängig ist, stellt sich neu auf.

China und die USA als geoökonomische Rivalen

In den Mittelpunkt der neuen Weltordnung, deren Konturen sich nun zeigen, rückt China. Seit der Präsidentschaft von Donald Trump haben sich die Beziehungen zwischen den USA und China deutlich verschlechtert. Zwischen beiden Ländern kam und kommt es immer wieder zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten, bei denen es im Kern um wirtschaftliche Verflechtungen geht — und zugleich um politische Machtansprüche.

Der im Jahr 2018 begonnene Zollkonflikt zwischen den USA und China war ein erster Hinweis darauf, dass sich die Geopolitik der Länder mehr und mehr in eine Geoökonomie wandelte. Mit der Corona-Pandemie hat zwischenzeitlich zwar eine Art Waffenruhe Einzug gehalten. Die Konfliktlinien in den Bereichen Wettbewerb und Kooperation blieben derweil aber ungelöst.

Der Westen wendet sich von Russland ab, die Russen China zu

Mit der Invasion Russlands in die Ukraine brechen die ungelösten Probleme nun wieder auf und die neuen Konfrontationslinien im globalen geopolitischen und geoökonomischen Umfeld treten zutage. Angesichts der harten Sanktionen des Westens mit dem Ziel, Russlands Wirtschaft und Finanzsystem lahmzulegen, erscheint insbesondere Chinas Rolle und geopolitische Haltung in einem neuen Licht. Dabei geht es auch um seine langfristige Strategie mit Blick auf Taiwan.

Russland ist bis auf Ausnahmen etwa bei den Energieexporten zunehmend vom Wirtschafts- und Finanzsystem des Westens abgeschnitten. Deshalb liegt auf der Hand, dass der Staat starkes Interesse hat, sich enger an China zu binden, um wirtschaftliche Folgen abzumildern. Berichte, nach denen Russland von China zudem militärische Güter angefordert hat, sorgen für eine zusätzliche Dimension dieses militärischen Konflikts. Zugleich wachsen die Befürchtungen, China könnte in einen Konflikt hineingezogen werden, in den auf der anderen Seite die USA mit verbündeten Staaten im Westen involviert sind. Peking hat entsprechende Berichte bisher allerdings zurückgewiesen und als Versuch beschrieben, seine Haltung zum Ukraine-Krieg zu verzerren oder falsch darzustellen.

Die Situation bleibt unklar

Die geopolitische Lage ist instabil. So sind zahlreiche Szenarien denkbar, wie sich der Krieg in der Ukraine in den kommenden Tagen entwickelt. Chinas Versuch neutral zu bleiben, steht potenziell im Konflikt zu Russlands Ersuchen um Unterstützung. Bereits jetzt hat die unsichere Perspektive die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA, der EU und China in den Mittelpunkt des Interesses der Anleger gerückt. Denn angesichts des Handelskriegs mit Russland wäre zu erwarten, dass sich auch die Beziehungen zu China deutlich verschlechtern, wenn der Staat für Russland Partei ergreift; womöglich über Sanktionen, wie sie in ihrer extremen Form jetzt schon gegen Russland verhängt wurden. Vieles hängt also davon ab, wie China sich nun verhält — und wie es seine eigenen langfristigen Interessen im radikal veränderten globalen geopolitischen Umfeld austariert.

Hohe Abhängigkeit zwischen China und anderen Ländern

Chinas strategische Rolle in diesem Konflikt rührt daher, dass der Staat nicht nur wesentlich größer, sondern auch wesentlich stärker in die Weltwirtschaft eingebunden ist als Russland. Die wirtschaftlichen Verflechtungen mit den Industrieländern im Westen sind deutlich größer. Zudem beträgt Chinas Anteil an der globalen Wirtschaftsleistung basierend auf Kaufkraftparitäten derzeit 18,7 Prozent gegenüber 3,1 Prozent für Russland. Lediglich in der Energieversorgung ist die wirtschaftliche Verbindung zwischen Europa und Russland deutlich enger: Europa deckt aktuell 40 Prozent seines Gas- und 25 Prozent seines Ölbedarfs mit Importen aus Russland.

Auch Chinas Nettoinvestitionen in Höhe von rund zwei Billionen US-Dollar (Stand: September 2021) sprechen für die überragende geoökonomische Bedeutung des Staates für den Westen, ebenso wie ein Auslandsvermögen von rund neun Billionen US-Dollar bei Auslandsverbindlichkeiten von rund sieben Billionen US-Dollar. Zum Vergleich: Russland hatte bei Ausbruch des Ukraine-Krieges ein Auslandsvermögen von rund 1,6 Billionen US-Dollar, wovon dann über die Sanktionen etwa die Hälfte eingefroren wurde. Die Auslandsverbindlichkeiten summieren sich auf ca. 1,1 Billionen US-Dollar, von denen wahrscheinlich rund 500 bis 700 Milliarden US-Dollar komplett abgeschrieben werden müssen.

Noch größer sind die Unterschiede am Welthandel: Chinas Anteil an den weltweiten Exporten summiert sich auf 14,2 Prozent, Russland hat gerade mal einen Weltmarktanteil von 2,2 Prozent. Bei den Importen liegen die Anteile bei 10,5 Prozent gegenüber 1,2 Prozent ebenfalls weit auseinander.

Chinas Verflechtungen mit dem globalen Finanzsystem könnten noch zunehmen, da Peking ein starkes Interesse an der Internationalisierung seiner Finanzmärkte und seiner Währung zeigt. Die Stärke des Renminbi in den letzten Monaten spricht Bände.

Beunruhigende Nachrichten zu ADRs und Covid

Kürzlich tauchten Nachrichten über ein mögliches Delisting einiger American Depository Receipts (ADRs) chinesischer Unternehmen an US-Börsen auf. ADRs sind Zertifikate, die an US-Börsen stellvertretend für Aktien gehandelt werden, die man nicht direkt kaufen kann. ADRs ermöglichen so die Beteiligung beispielsweise an der Kursentwicklung chinesischer Internet-Unternehmen, die selbst keine Aktien an Ausländer verkaufen dürfen.

Nun werden gerade einige solcher ADRs vom Markt genommen — und das wurde in der Öffentlichkeit teilweise mit dem angespannten geopolitischen Umfeld in Verbindung gebracht. In Wahrheit handelt es sich dabei aber im Wesentlichen um ein Liquiditätsübergangsproblem von den USA nach Hongkong — mithin kein grundlegendes, sondern eher ein technisches Problem.

Ein größeres Risiko für die Wirtschaft bildet Chinas Null-Covid-Politik. Denn das Land erlebt gerade einen neuerlichen Ausbruch der jüngsten Covid-Varianten, so dass der Staat die Stadt Shenzhen und auch Teile von Shanghai abgeriegelt hat und weitere harte Maßnahmen zur Eindämmung von Ausbrüchen in mehreren Provinzen ergreift. Weitere Shutdowns sind möglich, die der chinesischen und damit auch der Weltwirtschaft einen zusätzlichen Schock versetzen könnten. Das sind beunruhigende Nachrichten, da wir ohnehin bereits von einer weitgreifenden Stagflation mit schwachem Wachstum und hoher Inflation ausgehen — und in Europa große Gefahren für eine Rezession drohen.

Fazit: Es ist Geduld gefragt

In diesem äußerst unsicheren Umfeld, in dem epochale geopolitische Entwicklungen mit wechselseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten kollidieren, ist Geduld gefragt. Nach wie vor sind mehrere Szenarien zum weiteren Verlauf denkbar, die die Positionierung auf den verschiedenen Märkten maßgeblich beeinflussen können: Sie reichen von aktiven Bemühungen Chinas, Russlands Krieg zu stoppen, bis zu einer aktiven Unterstützung Russlands durch China. In jeden Fall dürften nationale Interessen Chinas treibende Kraft sein. Auf dem Prüfstand stehen dabei auch die wirtschaftlichen und finanziellen Verflechtungen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzzentren.

Da wir noch keinen stabilen Zustand erreicht haben, was die Beziehungen zu China und deren langfristige Entwicklung angeht, ziehen wir es vor, die weiteren Entwicklungen abzuwarten, bevor wir wichtige Anlageentscheidungen. Dessen ungeachtet gibt es deutliche Anzeichen für das Wertpotenzial auf den Aktien- und Anleihenmärkten, sobald über die dargelegten Risiken mehr Klarheit herrscht.

Die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen China und den USA, der EU und anderen Industrieländern sind um ein Vielfaches größer als gegenüber Russland. Das gilt in wirtschaftlicher wie finanzieller Hinsicht. Umgekehrt wären die Folgen eines offenen militärischen und wirtschaftlichen Konflikts für die ganze Welt katastrophal. Das Anerkennen dieser Realität öffnet die Tür für Kompromisse.

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Stand, soweit nicht anders angegeben: März 2022. MK13884