Während die Notenbanken im Westen in großen Schritten die Zinsen anheben, um die Inflation einzudämmen, hält die Bank of Japan unbeeindruckt an der Nullzins-Politik fest. Warum das ein riskantes Spiel ist.

Die Notenbanken in den USA und in Europa haben ein gemeinsames Ziel: Mit straffen Zinserhöhungen wollen sie die grassierende Inflation eindämmen, dabei geht ihnen im Zweifel Geldwertstabilität auch vor Wachstum. Ganz anders in Japan: Dort zeigt sich die Bank of Japan (BoJ) bislang unbeeindruckt vom Anstieg der Verbraucherpreise – und 
beteiligt sich nicht an der Zinswende, sondern bleibt vielmehr bei seiner Nullzins-Politik. 

Vor über 20 Jahren setzte die BoJ den Leitzins erstmals auf null, zuletzt war er sogar negativ. Gemäß der sogenannten Forward Guidance steht das Zins-Ziel von -0,1 % am kurzen Ende weiterhin fest. Die Forward Guidance ist ein spezielles Instrument der Geldpolitik: Notenbanken geben konkret ihren weiteren Kurs vor, äußern also öffentlich ihre künftigen geldpolitischen Absichten. In der Regel dient das dazu, die Märkte zu beruhigen.1

Auch wenn in Japan die Inflation längst nicht so hoch ist wie bei uns, überrascht das Festhalten an der Nulllinie beim Zins auf den ersten Blick – denn auch in Japan sind die Preise zuletzt signifikant gestiegen. Bei einer etwa 3-prozentigen Inflation, von der Konsensschätzungen für Japan bis Jahresende ausgehen, kann eine weiterhin expansive Geldpolitik die Entwertung womöglich noch anheizen. 

Laut Lehrbuch wäre nun eine Zinsstraffung angesagt, um den Geldwert stabil zu halten. Japans Regierung setzt stattdessen auf Lohnerhöhungen. Beim nächsten Shunto, dem Lohnverhandlungsritual im Frühjahr, sollen die Unternehmen die Löhne erhöhen, um die Inflation auszugleichen, hatte Japans Premierminister Fumio Kishida unlängst gefordert – und zum Ausgleich neue Subventionen für kleine und mittlere Unternehmen angekündigt.2

Bei genauerem Hinsehen halten die Japaner aber auch nicht ganz freiwillig am Nullzins fest. Um nicht zu sagen: Sie stecken in der Falle. Seit einem Jahrzehnt verfolgt der Staat eine Politik, die nach dem früheren Premierminister inzwischen als Abenomics in die Literatur eingegangen ist: Die Geldschwemme wird mit immer neuen Konjunkturprogrammen verknüpft. Und nun ist Japan inzwischen so extrem verschuldet, dass es kaum Spielräume für Zinsanhebungen gibt. So erklärte der geldpolitische Ausschuss der BoJ auf seiner jüngsten Sitzung im September dann auch3, die Geldpolitik nötigenfalls sogar noch weiter zu lockern. 

Währung vor dem Niedergang

Die Quittung für diesen Sonderweg bekommt Japan auf dem Währungsmarkt: Der japanische Yen hat gegenüber dem US-Dollar im Lauf des Jahres ein Fünftel an Wert verloren. Zuletzt war die Notenbank sogar gezwungen, mit Interventionen am Devisenmarkt einzugreifen, tätigte also massive Yen-Stützungskäufe. 

Eine weitere Abwertung scheint unvermeidlich, solange die USA die Zinsen weiter erhöhen und damit immer mehr Kapital in den US-Dollar-Raum zieht. Während ein schwacher Yen für die exportorientierte japanische Wirtschaft wie eine Konjunkturspritze wirkt, droht die Währung zum Spekulationsobjekt zu verkommen. Will die BoJ das verhindern, sind weitere Schulden kaum zu vermeiden. Japan steckt damit in einer überaus vertrackten Lage.

Fazit

Japan spielt ein riskantes Spiel: Gelingt es nicht, das Zinstief ohne Devisencrash aufrecht zu erhalten, droht ein veritabler Zusammenbruch. Der wird dann auch uns beschäftigen, denn bislang versorgen die Japaner die Welt trotz hoher Inflation weiterhin mit billigem Geld. Es ist ein unterschätztes Risiko am anderen Ende der Welt.

 

Quellenangaben:

https://www.ecb.europa.eu/ecb/educational/explainers/tell-me/html/what-is-forward_guidance.de.html
https://sumikai.com/nachrichten-aus-japan/politik/japan-regierung-fordert-unternehmen-auf-die-loehne-zu-erhoehen-315785/
https://www.handelsblatt.com/finanzen/geldpolitik/geldpolitik-japan-greift-am-devisenmarkt-ein-und-stuetzt-zum-ersten-mal-seit-1998-den-schwachen-yen/28697694.html

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