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IT-Sanktionen gegen Russland: Wie sie wirken

Carsten Roemheld - Kapitalmarktstratege Fidelity International
25. März 2022
Die USA haben den Export von Halbleitern nach Russland verboten. Das wirft das Land technologisch um Jahrzehnte zurück, sagt Alena Epifanova, Expertin für Internet- und Technologiepolitik. Zugleich kämpft der Staat um die Souveränität im Internet.
IT-Sanktionen gegen Russland — Teil 1: Halbleiterstopp wirft das Land um Jahrzehnte zurück
Die EU und die USA haben ein weitreichendes Embargo für die Lieferung von Hightech-Produkten nach Russland erlassen. Die russische Industrie hat keinen Zugang mehr zu Halbleitern, Telekommunikationsausrüstung und Software aus dem Westen. Zugleich verlassen zehntausende IT-Spezialisten das Land. Das berichtet Alena Epifanova, die seit vielen Jahren die russische Internet- und Technologiepolitik erforscht. Im Podcast erklärt sie, welche drastischen Folgen das für die Wirtschaft des Landes haben wird.
IT-Sanktionen gegen Russland — Teil 2: Der Krieg beschleunigt die Abkapselung vom Internet
Die politische Führung in Russland strebt nach digitaler Souveränität, sagt Alena Epifanova, Expertin für die russische Internetpolitik. Das bedeutet: Man will sich auf Dauer abkapseln von westlicher Netz-Infrastruktur, und so auch die Verbreitung kritischer Informationen im Land verhindern. Der Krieg hat die staatlichen Bemühungen dazu immens beschleunigt.
Transkript zum Podcast — Teil 1
IT-Sanktionen gegen Russland: Halbleiterstopp wirft das Land um Jahrzehnte zurück – Teil 1
Carsten Roemheld: Vor drei Wochen hat Russlands Präsident Wladimir Putin einen Angriff auf die Ukraine befohlen. Seitdem herrscht wieder Krieg in Europa. Jeden Tag sterben Menschen. Und in der Politik macht der Begriff von der Zeitenwende die Runde. Aktuell stellt sich die politische und wirtschaftliche Lage so dar: Während Putin mit Panzern und Raketen kämpft, antwortet der Westen mit Waffenlieferungen und vor allem mit Wirtschaftssanktionen. Letzteres in nie dagewesener Einigkeit und Breite. Ein paar Beispiele: Russlands Banken sind inzwischen teilweise von internationalen Geldflüssen abgeschlossen; der Westen arbeitet daran, sich von russischen Gas-, Öl- und Kohlelieferungen unabhängig zu machen; die weltweiten Devisenreserven der russischen Zentralbank sind eingefroren, genau wie das Vermögen vieler reicher Russen im Ausland; die Börse in Moskau ist bis auf Weiteres geschlossen, der Rubel verfällt und immer mehr Unternehmen aus dem Westen ziehen sich aus Solidarität mit der Ukraine aus Russland zurück. Kaum jemand will offenbar noch Geschäfte machen in einem Land, dessen autokratischer Herrscher einen Angriffskrieg führt.
Das Lagebild wäre allerdings unvollständig ohne einen besonderen Aspekt der Wirtschaftssanktionen. Es geht um den weitgehenden Exportstopp westlicher Spitzentechnologie. Die EU und die USA haben ein weitreichendes Embargo für Hightech-Produkte erlassen. Die russische Industrie hat damit keinen Zugang mehr zu Halbleitern, Telekommunikationsausrüstung, Lasern und Software aus dem Westen. Die Sanktionen betreffen zwar keine Endkundenprodukte wie Handys oder Computer, da zugleich aber Konzerne wie Apple, Samsung, Dell, Microsoft oder HP aus eigenem Antrieb den Verkauf solcher Produkte in Russland eingestellt haben, ist das Land derzeit de facto von westlicher Hard- und Software abgeschnitten. Was bedeutet das für die russische Wirtschaft und Gesellschaft?
Meine heutige Gesprächspartnerin im Podcast, Alena Epifanova, sagt: Die Exportkontrolle für wichtige Technologien wirft die russische Wirtschaft um 30 Jahre zurück und könnte das Land unterm Strich härter treffen als alle anderen Sanktionen. Alena Epifanova ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Sie erforscht seit vielen Jahren die russische Internet- und Technologiepolitik.
Heute ist Dienstag, der 22. März 2022. Mein Name ist Carsten Roemheld. Ich bin Kapitalmarktstratege bei Fidelity. Und ich freue mich sehr auf die kommenden 45 Minuten mit Alena Epifanova.
Herzlich willkommen beim Kapitalmarkt-Podcast von Fidelity.
Alena Epifanova: Vielen Dank für die Einladung.
Carsten Roemheld: Ja, Zeitenwende ist das Stichwort, Frau Epifanova. Während viele dabei derzeit wohl zuallererst an militärische Fragen denken oder ans russische Gas, sagen Sie, die womöglich größte Zeitenwende für Russland könnte gerade darin liegen, dass das Land buchstäblich den Anschluss an die weltweite Technologie verliert. Wie dramatisch wirken sich die Sanktionen der Europäer und der US-Amerikaner in diesem Feld aus? Oder anders gefragt: Wie sehr gefährdet Russland gerade tatsächlich seine eigene Leistungsfähigkeit – vor allem in technologischen Fragen?
Alena Epifanova: Ja, Russland gefährdet sich selbst enorm, wenn es um Technologien geht und vor allem Informationstechnologie, Kommunikationstechnologie, Spitzentechnologie, wie Sie ja schon angesprochen haben. Das ist wahrscheinlich jetzt nicht sofort zu spüren, weil es liegt in der Natur der Technologien: Sie laufen weiter, sie haben bestimmte Lizenzen, sie haben bestimmte Zeiten, wo Technologien verwendet werden können. Und das kommt nicht sozusagen von einer Nacht auf die andere, dass jetzt plötzlich Russland stillsteht. Aber gleichzeitig sind die Informationstechnologien immer mit der Zukunft verbunden. Das heißt also, die Informationstechnologie, die digitalen Technologien, die nicht nur im Alltag, sondern vor allem in der Industrie verwendet werden, sie sind auch sozusagen ein Baustein für die technologische Macht eines Landes. Und daran werden sozusagen heutzutage im 21. Jahrhundert die Fähigkeiten und Kapazitäten eines Landes gemessen. Und Russland ist mit diesem Krieg quasi jetzt am Ende der Reihe meiner Meinung nach; Russland hat versucht, mit verschiedenen Strategien und Programmen einen eigenen digitalen Markt aufzubauen, eine eigene IT-Industrie zu stärken, aber in den letzten 20 Jahren ist wenig passiert.
Also diejenigen Firmen, die bereits auf dem Markt seit den 90er Jahren erfolgreich waren, die haben sich gestärkt. Die haben sich besser positioniert, nicht nur im Land, sondern im Ausland. Es kamen ein paar neue dazu, aber es gab keine nachhaltige Strategie. Es gab keine Investitionen in den russischen IT-Sektor, wo Russland als eine Technologiemacht aufsteigen könnte.
Und Russland ist ein Part des globalen Internets und hängt auch vom globalen Internet, von globalen IT-Firmen ab. Und heutzutage sehen wir, dass auch globale IT-Player aus dem russischen Markt aussteigen und dort auch die russische Digitalwirtschaft damit gefährden. Russland ist in vielen Bereichen von westlichen Technologien abhängig. Russland hat eigene Firmen und Dienste, aber jetzt angesichts des Krieges sehen wir, dass auch viele Firmen aus dem Land auswandern und damit auch tausende IT-Spezialisten. Ich habe jetzt von 60.000 bis 70.000 Hochspezialisten gelesen, die im IT-Markt beschäftigt waren. Sie haben jetzt das Land verlassen und die Experten rechnen mit weiteren 100.000 IT-Spezialisten, die quasi auf dem Weg aus Russland raus sind. Und das sind auch natürlich Faktoren, die Russlands IT-Wettbewerbsfähigkeit enorm beschädigen.
Carsten Roemheld: Ja, das klingt sehr dramatisch. Kann man denn eine zeitliche Komponente beschreiben? Wie lang reichen die Vorräte an technologischer Hardware in der russischen Industrie noch, in den staatlichen Unternehmen, vielleicht auch im Militär? Haben Sie da einen Eindruck?
Alena Epifanova: Es ist ganz unterschiedlich in verschiedenen Bereichen. Also wenn Sie zum Beispiel an das Bankensystem denken, da hat die Sberbank erfolgreich noch vor dem Krieg seine wichtigsten Lizenzen für die Software verlängert. Und wir wissen, dass zum Beispiel Baikal, das ist der Produzent des russischen Prozessors, der hat auch noch vor dem Krieg ziemlich viele Microchips aus Taiwan bekommen. Also etwa 5.000 bis 10.000 Chips.
Also das heißt, die Vorräte reichen in manchen Bereichen für die nächsten Monate, vielleicht in manchen für ein paar Jahre, aber wiederum geht es jetzt darum: Wird man jetzt quasi weiterhin illegal bestimmte Lizenzen verwenden? Wird man versuchen, über sozusagen den Schwarzmarkt bestimmte Technologien einzukaufen, oder ist es tatsächlich dann nur der einzige Weg, die russischen Alternativen zu nutzen, die da sind? Und die sind sehr oft nicht global wettbewerbsfähig, sie sind sehr oft von schlechterer Qualität. Und dazu kommt noch, dass sie einfach technologisch nicht miteinander kompatibel sind. Also das heißt, da sind mehrere Hürden, jetzt plötzlich auf russische IT und Hardware umzusteigen.
Carsten Roemheld: Ja, relativ hohe Hürden. Wir haben es jetzt vorhin schon beschrieben: Es gab fast täglich neue Meldungen in letzter Zeit über Unternehmen, die auch unabhängig von den Sanktionen eben ihre Lieferungen nach Russland eingestellt haben: Samsung, der Marktführer für Smartphones im Land, Microsoft, Hersteller der marktführenden Betriebssysteme, der Halbleiterhersteller TSMC, Intel, EMD, Apple und viele andere mehr. Alle haben ihre Exporte vorerst gestoppt. Was hören Sie denn aus Russland? Gibt es dort auch aus der Bevölkerung schon erste Versorgungsengpässe? Was heißt das für das Land und für die Bevölkerung?
Alena Epifanova: Ich höre noch über keine größeren Defizite. Klar, viele haben versucht, noch die neuesten Smartphones schnell zu kaufen, als der Krieg angefangen hat. Vor allem Samsung ist das beliebteste Smartphone in Russland und wie ich erwartet habe, sind die Preise leicht gestiegen – also einige Tage nach dem Krieg. Und es gab natürlich mehrere Schlangen, das hat man auch gesehen, vor allem in Moskau, dass man versucht hatte, noch Smartphones und Laptops zu kaufen. Aber bisher ist das jetzt kein Drama sozusagen. Das trifft jetzt nicht viele breitere Teile der Bevölkerung. Und ich glaube, wie ich schon beschrieben habe, dass mit den Technologien, es ist eine Frage der Zeit, dass es jetzt in den nächsten Monaten bzw. im nächsten Jahr sichtbar sein wird, dass es dort zu einer Knappheit kommt.
Carsten Roemheld: Es wird also noch eine Zeit lang dauern. Lassen Sie uns in den kommenden Minuten einmal kurz sortieren, über die verschiedenen Auswirkungen getrennt sprechen, einmal wirtschaftlich, politisch, aber auch zivilgesellschaftlich. Beginnen wir mal mit der Wirtschaft: Wie abhängig ist Russland von der Halbleiterproduktion des Westens und wie abhängig der Westen wiederum von Russland, beispielsweise als Rohstofflieferant?
Alena Epifanova: Russland ist extrem abhängig vom Westen, wenn es um Halbleiter geht, Russland hat keine eigene Halbleiterindustrie. Es hat auch nie versucht, das tatsächlich systematisch aufzubauen. Und das heißt auch, einer der größten Lieferanten ist tatsächlich die taiwanesische Firma TSMC, die Sie hier schon angesprochen haben, und vor allem auch für die Produktion von eigenen Prozessoren. Also Russland war ganz stolz, zu sagen, dass es zumindest zwei Firmen gibt, die eigene Prozessoren produzieren. Aber die beiden Firmen sind eben von den Taiwanesen abhängig.
Und wir wissen auch, dass die fortgeschrittenen Halbleiter, die basieren ja alle auf amerikanischen Technologien. Und das heißt, Russland ist hier vielleicht von den anderen Herstellern abhängig, die nicht unbedingt in den USA sitzen, aber deren Technologien auf amerikanischen Technologien basieren. Und da können die Amerikaner mit ihren Mechanismen, also ‚Foreign Direct Product Rule‘, jede Firma der Welt praktisch treffen.
Und das ist für Russland tatsächlich ein großes Problem. Also wie ich schon gesagt habe, bisher gibt es ja noch Vorräte, die für eine bestimmte Zeit ausreichen. Und dann kommt die Frage: Wie kommt Russland aus dieser Situation raus? Also entweder wiederum illegal, bestimmte Halbleiter einzukaufen, oder versuchen, mit China zu verhandeln. Aber die Amerikaner sind auch da schon ganz deutlich, dass sie auch chinesische Firmen sanktionieren können, wenn sie versuchen, Russland zu helfen. Genau, wenn es zu Rohstoffknappheit kommt, also jetzt eben in dem Bereich. Die wissen, dass die Chipproduktion ziemlich abhängig von Neongas aus Russland und der Ukraine ist. Und das heißt, dass jetzt auch der Krieg und Russlands Position zu dieser Frage ganz viele Unsicherheiten darstellen. Und das wird tatsächlich noch offenbleiben, wie der Markt diesen ziemlich großen Anteil an Neongas ersetzen wird, weil rund 50 % des Neongases kommt aus Russland und wird dann tatsächlich in der Ukraine in der Nähe von der Stadt Odessa veredelt und exportiert. Und die größten Chipproduzenten sind von diesem Neongas abhängig.
Carsten Roemheld: Wie ist es denn mit Seltenen Erden zum Beispiel? Da kommen ja auch einige aus Russland, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.
Alena Epifanova: Ja, da kenne ich mich nicht so gut aus tatsächlich. Aber das ist auf jeden Fall auch eine Frage, wie Russland sich da positionieren wird.
Carsten Roemheld: Welche Rolle spielt denn die chinesische Technologie? Kann die IT-Industrie Chinas womöglich auf lange Sicht von den Sanktionen der Amerikaner profitieren? Immerhin deckt Russland heute bereits rund 70 % seines Bedarfs an Chips, Computern und Smartphones aus China.
Alena Epifanova: Das ist jetzt tatsächlich die große Frage, weil China hat sich jetzt nur zum Teil positioniert zum Krieg – also das Land verurteilt das jetzt nicht so scharf und ist eher kritisch, was die Sanktionen angeht – und wiederum ganz viele chinesische Technologien sind von den amerikanischen total abhängig. Also hier muss man tatsächlich beobachten, wie sie verhandeln und wie hart tatsächlich die Amerikaner gegen chinesische Firmen vorgehen, und tatsächlich auch, wie die EU gegen China in diesem Sanktionskrieg vorgeht, wenn sie tatsächlich auch Bedingungen an China stellt, wenn die Lieferung von bestimmten Technologien an Russland auch zu Sanktionen gegen China führen kann. Also da kann ich mir vorstellen, dass China tatsächlich eher vorsichtiger sein wird.
Carsten Roemheld: Sie sagen, dass die Exportkontrollregeln auch den Handel mit chinesischer oder taiwanesischer Hardware treffen. Aber ist das tatsächlich auch durchsetzbar? Der chinesische Huawei-Konzern beispielsweise, der selbst stark unter US-Sanktionen gelitten hat, soll den Russen jüngst sogar Hilfe bei der Ausbildung von technischen Experten angeboten haben.
Alena Epifanova: Also ich glaube, da können die Chinesen wirklich zweimal überlegen, ob sie tatsächlich in dieses Geschäft einsteigen, weil eben die Firma Huawei schon unter diesem ‚Foreign Direct Product Rule‘ gelitten hat. Also ich habe von über 30 % Einbruch von Einnahmen gelesen und dass das tatsächlich auch in Russland spürbar war, dass es zu Lieferengpässen an Huawei-Smartphones gekommen ist. Und dann kommt noch dazu, dass der russische Markt toxisch geworden ist; dass wir sehen, dass es für viele Firmen problematisch ist, in Russland zu bleiben. Und dann geht es tatsächlich noch um den Ruf. Also die Chinesen, also die chinesischen Firmen, sie arbeiten ja nicht nur in Russland, sondern global. Und das heißt, das könnte für sie also zusätzlich zu den Exportkontrollen durch die USA noch dazu kommen, dass es zu einem schlechten Ruf kommt, wo die chinesischen Firmen aber in bestimmten Märkten einfach nicht mehr arbeiten können. Das finde ich, ist auch ein problematischer Punkt für sie.
Genau, und diese ‚Foreign Direct Product Rule‘, was die Amerikaner jetzt tatsächlich als ein sehr starkes Instrument entwickelt haben und wo sie mit Huawei gezeigt haben, dass es wirklich funktioniert, dass es schmerzhaft sein kann. Klar, wir haben es noch nie gesehen, dass es gegen ein Land eingesetzt wird. Und das ist deswegen jetzt auch, wie Sie auch am Anfang gesagt haben, tatsächlich zum Ersten Mal in der Geschichte so; und dass das die Chinesen wissen, dass ihre Spitzentechnologien auch von den amerikanischen Technologien abhängig sind. Und da müssen sie genau kalkulieren, wie viel es sie kostet, dann tatsächlich in Russland diese Substitutionen anzubieten.
Carsten Roemheld: Man sieht es an den Beispielen: Es geht nach wie vor um die technologische Führerschaft in der Welt und da scheint auch hier so eine Art Ost-West-Spaltung zu entstehen. Haben Sie den Eindruck, dass die Technologiekonzerne in Asien schon reif genug sind, um mit dem Know-how aus den USA mithalten zu können letzten Endes? Ist das Ihr Eindruck?
Alena Epifanova: Ich glaube, wir sehen tatsächlich, wie mächtig die USA technologisch sind. Jetzt gerade in dieser Zeit, wo es tatsächlich dazu kommt – wenn es um Details geht, wenn es um bestimmte Bestandteile der Technologien geht –, dass zum größten Teil vielleicht nicht die ganze Produktion von Software und Hardware amerikanisch ist, aber bestimmte Teile von diesen Technologien doch in Amerika ihre Anhänger haben. Also da sehe ich schon ganz klar: Die Amerikaner sind der absolute Leader, aber der asiatische Markt ist klar im Aufsteigen und auch die Südkoreaner oder Singapur; in bestimmten Bereichen haben sie auch Spitzentechnologien. Und Russland ist ja auch zum Teil von ihnen abhängig. Denken wir auch an Israel. Das ist ja kein asiatisches Land, aber da gibt‘s ja auch Bereiche, wo die Israelis ganz vorne sind.
Aber ich glaube, mit Russland das ist jetzt einfach so kompliziert geworden; dass es ein Land ist, das sich im Krieg befindet, das, ja, also quasi Kriegsverbrechen begeht und das ist weltweit dokumentiert, und ich glaube, dass der russische Markt, egal für welches Land, problematisch sein wird. Und auch für global agierende Firmen, also wenn wir tatsächlich von großen Firmen sprechen, wird dieser Markt wirklich problematisch bleiben, solange Russland im Krieg involviert ist und solange Russland den Krieg führt und solange Russland auch die Repressionen im eigenen Land durchführt. Also das ist auch ein Faktor, wo ich glaube, dass das für eine globalisierte Welt und global agierende Firmen ein wichtiger Faktor ist.
Carsten Roemheld: Herzlichen Dank, Frau Epifanova, für Ihre präzise Einordnung der wirtschaftlichen Lage in Russlands Technologiesektor.
Wir befinden uns also in einem Sanktionskrieg. Zehntausende IT-Spezialisten verlassen das Land. Wichtige Softwarelizenzen drohen auszulaufen. In einigen Monaten könnten die Halbleiterreserven knapp werden. Und wie Sie sagen, Russland ist für viele westliche Unternehmen als Absatzmarkt toxisch geworden. Nun, wenn sich Russland mehr und mehr vom Westen abkapselt, was bedeutet das dann für die Informationsversorgung der Bevölkerung? Und warum strebt Russland überhaupt danach, eine eigenständige Informationstechnologie aufzubauen?
Über diese zivilgesellschaftlichen und sicherheitspolitischen Fragen sprechen wir im zweiten Teil unseres Podcasts.
Wir hören uns!
Ihr Carsten Roemheld.
Transkript zum Podcast — Teil 2
IT-Sanktionen gegen Russland: Der Krieg beschleunigt die Abkapselung vom Internet – Teil 2
Carsten Roemheld: Russland ist technologisch heute extrem vom Westen abhängig, jedenfalls bei der Hardware. Aber wie sieht es bei der Software aus und bei der Kontrolle des Internets und der digitalen Medien? Hier hat der Staat in den vergangenen Jahren immer stärker nach Unabhängigkeit vom Westen gestrebt und technologisch aufgerüstet. Nun, im Krieg haben sich unter anderem die Zensurbemühungen der Russen um das Zehnfache beschleunigt, sagt Alena Epifanova, Expertin für Russlands Informationspolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin.
Im zweiten Teil des Kapitalmarkt-Podcasts sprechen wir über die Möglichkeiten des Staates, den Internetzugang für die Bevölkerung technisch zu unterbrechen; darüber, wie groß die Unterstützung für Putin im eigenen Land eigentlich noch ist; und wir erfahren, warum das Regime die Kontrolle übers Netz auch als eine sicherheitspolitische Frage begreift.
Carsten Roemheld: Kommen wir im zweiten Themenblock auf die politische und zivilgesellschaftliche Dimension zu sprechen. Und wenn wir über die Technologiepolitik der russischen Führung sprechen, müssen wir auch über die Internetabschottung des Landes sprechen. Vor wenigen Tagen haben russische Behörden die Sperrung der Onlinenetzwerke Facebook und Twitter angeordnet. Es sieht also mehr und mehr so aus, als versucht der Staat, sich auch hier abzuschotten vom Westen und eine große Firewall nach chinesischem Modell zu errichten. Wie ist aus Ihrer Sicht hier der Stand? Wie kann das aktuell weitergehen?
Alena Epifanova: Im Unterschied zur Entwicklung der eigenen Informations- und Kommunikationstechnologie ist Russland dort tatsächlich vorangekommen. Weil meiner Meinung nach war es tatsächlich eine der wichtigsten Prioritäten für den Kreml, so ein technologisches Überwachungssystem zu schaffen und auch mehr und mehr Kontrolle und Überwachungsmöglichkeiten dem Staat zu geben. Das russische Internet oder das Internet in Russlands Grenzen ist ein Bestandteil des globalen Internets. Es wurde so von vornherein aufgebaut, dass es nicht das chinesische Modell war, wo eine zentralisierte Kontrolle von vornherein Bestandteil des Internets war. Russlands Internet ist bis heute sehr frei und für den Staat war es irgendwann tatsächlich ein Problem, wenn es darum ging, bestimmte Informationen zu zensieren und Zugang zu bestimmten Informationen im Land einzuschränken.
Und Russland hat sich in den letzten zwei Jahren tatsächlich technologisch aufgerüstet, dass dort bestimmte Technologien auf den Netzwerken von russischen Internet-Service-Providern installiert wurden; also ‚Deep Packet Inspection‘ heißen sie. Und das sehen wir in den letzten Jahren. So seit März 20/21 blockiert die russische Behörde Roskomnadsor relativ erfolgreich solche sozialen Medien wie Twitter, Facebook, Instagram. Ich würde wiederum jetzt nicht über eine totale Sperrung sprechen. Also die Plattformen sind noch in Russland zugänglich und das hängt auch von Region zu Region ab, von verschiedenen Internet-Service-Providern und auch ganz viele Menschen benutzen jetzt VPN; aber klar, das ist jetzt tatsächlich eine neue technologische Maßnahme, die der russische Staat jetzt durchgesetzt hat in den letzten zwei Jahren. Und es kommt dazu, dass kritische Informationen immer weniger zugänglich werden in Russland.
Carsten Roemheld: Also stark eingeschränkter Zugang sozusagen. Seit zweieinhalb Jahren ist in Russland das sogenannte souveräne Internetgesetz in Kraft, dass es der Regierung unter anderem auch erlaubt, im Krisenfall das eigene Internet praktisch vom internationalen Netz abzukoppeln. Was hat es genau mit diesem Gesetz auf sich und warum gibt’s das überhaupt?
Alena Epifanova: Dieses souveräne Internetgesetz hat ganz verschiedene Teile. Eines davon, was wir schon besprochen haben, ist eben dieses Management von Informationen, also zentralisiertes Blockieren, zentralisiertes Filtern von bestimmten Informationen, Zugang zu bestimmten Webseiten. Und das andere ist, dass Russland versucht, ein nationales Domain-Name-System aufzubauen. Also das heißt, so wie wir das nennen, so ein Telefonbuch des Internets; also, dass Menschen in Russland alle Webseiten der Welt quasi abrufen können, wenn sie nur einen bestimmten Namen, z.B. fidelity.com, eingeben und dann werden sie das schon ansehen können. Und Russland versucht quasi, damit so eine Kopie des globalen Internets in Russlands Grenzen einzubauen; dass eben die ganze Infrastruktur von DNS in Russlands Grenzen aufgebaut wird. Also das heißt Server und auch die ganze Infrastruktur, das IP-System; und dass Russland damit auch unabhängig von den internationalen Organisationen wie
ICANN sein wird und quasi selber alleine das Internet in den eigenen Grenzen managt. Und dann, dass auch die staatlichen Behörden die Kontrolle über Kommunikationsnetze oder Traffic-Exchange-Points und alle Server haben und dann auch selber managen können.
Das ist die Idee, dass Russland sich quasi abkoppeln kann und trotzdem ein Internet oder ein Intranet in den eigenen Grenzen haben kann, ohne von anderen Akteuren oder von anderen der nationalen Organisationen abhängig zu sein. Und dann wird diese Zensur von kritischen Informationen tatsächlich erfolgreich sein. Wenn wir jetzt sehen, dass Menschen in Russland trotz der Sperrungen und trotz dieser ganzen Blockierungen Facebook trotzdem nutzen können, vor allem durch VPN, dann kann die VPN auch nicht wirklich helfen. Dann kann ein russischer Nutzer nur Informationen abrufen, die auf Server in Russland liegen. Das heißt, die Server im Ausland werden nicht mehr erreichbar sein und der russische Staat wird die ganze Kontrolle über die Server in Russland haben.
Carsten Roemheld: Jetzt sind ja Gesetze das eine und die Lebensrealität ist vielleicht was anderes. Erleben wir jetzt gerade so eine Art Zeitenwende in Russland oder sind das alles Entwicklungen, die sich schon länger abgespielt haben? Ein Prozess, der uns jetzt nur gerade auffällt, weil wir genauer hinschauen? Wie ist da Ihr Eindruck?
Alena Epifanova: Die Prozesse waren tatsächlich schon da. Durch den Krieg wurde alles zehnfach beschleunigt. Also diese ganze Zensur, die der russische Staat versucht durchzuführen, und dieses Vertreiben vor allem von den US-amerikanischen Firmen und vor allem sozialen Medien war ein langer Wunsch. Und es gab ganz verschiedene gesetzliche Maßnahmen und technologische Maßnahmen, dass diese Firmen nicht mehr in Russland funktionieren oder mit dem russischen Staat kooperieren, das haben sie nicht gemacht. Und jetzt kommt es dazu, dass so in einer Kriegssituation wirklich sehr strikte, die striktesten Maßnahmen eingeführt werden, die eben dadurch erklärt werden, Russland befindet sich in einer besonderen Situation und alle Maßnahmen müssen angewendet werden, damit der russische Staat diesen Informationskrieg gewinnt.
Und natürlich diesen Exodus von den globalen Firmen, technologischen Firmen, hat keiner erwartet, glaube ich. Das ist tatsächlich ein sehr großer, schmerzhafter Schritt für den russischen IT-Markt. Und gleichzeitig: Also zum Beispiel Microsoft kann man zum Teil ersetzen, wenn wir über Microsoft Word oder Excel sprechen, also da gibt es schon Alternativen. Aber wenn wir über Betriebssysteme sprechen, da kann Russland nicht mithalten, kann man zum Beispiel Windows nicht so wirklich ersetzen.
Genau, und dann dadurch, dass so viele globale IT-Firmen aus Russland aussteigen, ist es natürlich jetzt einfacher, dass Russland da irgendwelche andere eigene Firmen und eigene Dienste verwenden wird, die natürlich vom Staat abhängig sind oder vom Staat besser überwacht werden. Und da entsteht schon eine neue Infrastruktur und ein neues sozusagen ‚IT-Ökosystem‘, das sich unabhängiger vom globalen Internet, von globalen IT-Firmen macht. Wiederum ist es keine beste Qualität. Also ich glaube, da muss der russische Staat damit leben, was da ist; und es ist einiges da. Aber gleichzeitig ist dieses Ziel von einem souveränen Internet tatsächlich durch diesen Krieg nähergekommen.
Carsten Roemheld: Wie funktioniert das aus Ihrer Sicht mit der Propaganda? Es interessiert mich auch selbst die Frage. Das ist ja ein wesentliches Ziel auch dieser medialen Abschottung. Wie funktioniert das? Wie viele Leute sehen nach wie vor über regulierte, staatlich überwachte Dienste Fernsehen, das Staatsfernsehen oder den Facebook-Klon VK? Ist das immer noch die Mehrzahl der Leute? Und wie ist das Informationsbedürfnis der Leute darüber hinaus?
Alena Epifanova: Es ist ziemlich schwer, einzuschätzen, wie viele Menschen Fernsehen oder Facebook konsumieren, und auch wiederum: Was lesen Sie auf Facebook? Da gibt es ja auch ganz viel Desinformation und Propaganda. Ich glaube, das Ziel des Staates ist sozusagen einerseits, das offizielle Narrativ, dass eine Spezialoperation, sogenannte Spezialoperation, stattfindet, durchzusetzen und zu verbreiten, also vor allem im Inland und durch das staatliche Fernsehen und VK, also VKontakte, der Klon von Facebook, oder Odnoklassniki, das ist auch so eine russische Soziale-Medien-Plattform; und andererseits eben einen Zugang zu anderen Plattformen zu verhindern und Zugang zu kritischen Information zu verhindern. Weil es sind ja nicht nur die sozialen Medien geblockt, sondern auch viele Webseiten, zum Beispiel auch von der Deutschen Welle in Russland oder der BBC, Meduza, so einem kritischen Medium in Russland. Und das heißt, dass sie da sozusagen diese zwei Richtungen gleichzeitig fahren. Und da kommt es tatsächlich dazu, dass viele Menschen alternative Plattformen suchen, wie zum Beispiel Telegram, die aber auch zum Teil problematisch ist. Und man weiß auch über die Kooperation von diesem Messenger mit dem russischen Staat und den russischen Sicherheitsdiensten. Also da kann man sich nicht ganz sicher sein, wie weit man überwacht wird oder nicht. Aber man weiß über diese Kooperation. Man weiß wenig, aber sie findet auf jeden Fall statt.
Und ich gehe davon aus, wenn wir tatsächlich jeden Tag Menschen auf den Straßen Russlands sehen, dass sie gegen den Krieg protestieren; trotz drastischer Maßnahmen, trotz des brutalen Zusammenschlagens und auch jetzt der Gefahr, fünfzehn Jahre im Gefängnis zu verbringen, nur wenn man das Wort ‚Krieg‘ sagt. Also da gehe ich davon aus, dass ein relativ breiter Teil der Bevölkerung Zugang zu Informationen hat und vor allem durch Telegram jetzt, aber auch Twitter und Facebook, die immer noch zugänglich sind. Natürlich, das sind Menschen, die sich tatsächlich darum kümmern, bestimmte Schritte zu unternehmen, bestimmte Software zu installieren und diese Blockierungen zu umgehen. Die wird immer weniger. Da gehe ich davon aus, dass das tatsächlich jetzt auch eine Frage der Zeit ist: Wie lange kämpfen Menschen immer noch um Zugang zu Information? Und es ist leider so, dass die Propagandamaschine jetzt tatsächlich auf Hochtouren funktioniert und sich vor keiner Lüge scheut und tatsächlich alle möglichen Erklärungen verwendet, wie erfolgreich die russische Armee da die sogenannten Nazis bekämpft. Was es natürlich sehr schwer macht, sozusagen eine andere Position darzubringen, wenn unabhängige Medien als ausländische Agenten erklärt werden bzw. dass ihre Ressourcen einfach nicht mehr zugänglich sind in Russland.
Carsten Roemheld: Da schließt sich die Frage an: Was glauben Sie, wie groß die Loyalität im Moment noch für das System ist und für das System Putin aktuell ist? Kann man das aus Ihrem Eindruck schildern?
Alena Epifanova: Ich glaube, diese Unterstützung ist noch sehr, sehr breit. Weil da wird auch den Menschen erklärt, dass der eigentliche Feind ja der Westen ist. Und auch jetzt, wenn die Sanktionen eingeführt werden und dass Russland isoliert wird, es wird dadurch erklärt, dass der Westen versucht, Russlands Stärke einzudämmen, dass der Westen versucht sozusagen, Russlands Entwicklung zu verhindern.
Und das ist natürlich ein Problem, weil die Menschen reflektieren nicht, wer tatsächlich die Ursache ist von ihren Problemen. Die Umfragen zeigen, dass zwischen 50 bis 70 % diese Spezialoperation und eben Wladimir Putin auch unterstützen. Aber da würde ich auch tatsächlich vorsichtig mit diesen Zahlen umgehen, weil ganz viele Menschen beantworten einfach nicht die Umfragen. Das heißt, wir sprechen über diese 50 bis 70 % von denjenigen, die bereit sind, überhaupt die Frage zu beantworten, und sich dann auch tatsächlich für Wladimir Putin aussprechen. Aber das jetzt im gesamten Land zu sehen – was heißt das tatsächlich? Wie groß ist die Unterstützung? Das ist schwer zu sagen. Aber auch so von meinen Kontakten in Russland höre ich tatsächlich eine erschreckend starke Unterstützung für Putin und für diesen Krieg.
Carsten Roemheld: Lassen Sie uns im dritten Teil noch mal zu der sicherheitspolitischen Dimension kommen und genauer die russische Technologiepolitik beobachten. Sie sagen ja, dass die russische Führung digitale Souveränität und eine eigenständige Informationstechnologie als entscheidende Grundlage für die Zukunft des Landes versteht und als zentrales Element eben auch im Wettbewerb der Großmächte. Was, würden Sie – Stand heute – sagen, ist realistisch? Dass Russland das Ziel der digitalen Souveränität auch erreicht?
Alena Epifanova: Ich glaube, dass Russland einen gewissen Grad von digitaler Souveränität erreichen wird. Die Frage ist, wofür es dient sozusagen. Wenn wir sagen, das dient tatsächlich dem wirtschaftlichen Zuwachs, der technologischen Überlegenheit oder den globalen Wettbewerbsfähigkeiten, dann sage ich, das ist ein absoluter Fehler. Mit so einem Modell des souveränen Internets kann Russland nichts erreichen.
Wenn es darum geht, mit diesem Modell des souveränen Internets das Regime zu stärken und da auch eine Weile noch zu versuchen, ohne Reformen oder Investitionen die Macht beizubehalten, dann hat Russland Erfolge gemacht und damit kann Russland quasi tatsächlich weiterleben. Und dann wiederum die Frage, ob es mit China kooperiert. Und da könnte China natürlich die eigene Erfahrung teilen und mit diesem sogenannten ‚Digital Authoritarianism‘ zusammenarbeiten, wo sie tatsächlich versuchen, die Kräfte zu bündeln und eben die Nationalstaaten unabhängiger von globalen IT-Playern zu machen, vor allem von dem Monopol der Vereinigten Staaten.
Also da sehe ich schon diese Gefahr, dass Russland zumindest nicht so souverän, also technologisch souverän, sein wird. Das wird sie einfach nie werden, also diese Politik. Auch ohne den Krieg hätte es wahrscheinlich noch ziemlich lange gebraucht, um da anzukommen. Aber jetzt, wenn wir tatsächlich über die Modelle von Überwachung, von der gesellschaftlichen Kontrolle sprechen und digitalen Technologien, da kann Russland einiges machen. Und ich glaube, jetzt gerade sehen wir, dass Russland tatsächlich auch Fakten schafft in diesem Bereich, wo auch viele andere autokratische Länder ganz genau gucken, wie kann man mit sozusagen ‚Low Budget‘ tatsächlich so Überwachungssysteme schaffen.
Carsten Roemheld: Sie haben ja kürzlich auch beschrieben, wie sich aktuelle Propagandaziele Russlands verschieben. Wir alle kennen die Debatten um die Einflussnahme auf Wahlen im Westen. Das war in Deutschland der Fall, in den USA. Nun richten sich die Bemühungen des Staates anscheinend zunehmend nach innen. Also hat Putin es jetzt aufgegeben, den Westen von seinen Ansichten überzeugen zu wollen? Führt er einen Informationskrieg gegen seine eigene Bevölkerung?
Alena Epifanova: Ich glaube schon. Das ist auf jeden Fall eine der wichtigsten Prioritäten gerade, weil der Krieg verläuft offenbar nicht so, wie er geplant war. Und das heißt zum Beispiel, wir haben überhaupt keine Mobilisierung der Bevölkerung vor dem Krieg gesehen. Also der Krieg oder diese Pläne, sie wurden ziemlich geheim gehalten. Und jetzt sehe ich es so, dass der Staat schon gezwungen ist, zu erklären, was da eigentlich passiert. Und da sehe ich, dass die wichtigsten Kräfte und sozusagen diese Ressourcen von der Propaganda tatsächlich sich nach innen richten. Und dazu kommen noch die Sanktionen, die, wenn sie jetzt nicht sofort eine Wirkung auf die breitere Bevölkerung haben, dann werden sie es jetzt definitiv in der nächsten Zukunft haben. Also das heißt, das ist tatsächlich jetzt eine Priorität.
Und dann glaube ich, dass Wladimir Putin tatsächlich nicht damit gerechnet hat, dass so eine breite Weltgemeinschaft sich dagegenstellt. Und da, glaube ich, geht es tatsächlich um die Priorisierung der Macht. Und dann priorisiert er tatsächlich sozusagen die innere Politik und dann auch eben, dieses Narrativ eben nach innen zu richten. Und nach außen ist es definitiv schwierig, auch im Vergleich zur Ukraine und im Vergleich zu Wolodymyr Selenskyj als einer der Hauptinfluencer sozusagen, die einfach unglaublich erfolgreich zeigen, was tatsächlich da abläuft. Und da, glaube ich, kann Putin gerade nicht mithalten angesichts vor allem der innenpolitischen Situation.
Carsten Roemheld: Ganz zum Schluss noch eine Spezialfrage: Cyberattacken gehören ja inzwischen offenbar mit zum militärischen Instrumentarium. Russland setzt in der Ukraine offenbar Schadsoftware ein. Die Ukraine forderte jüngst, den Russen das Internet abzudrehen, und nutzt soziale Medien als Instrument der Verteidigung. Das Hackerkollektiv Anonymous hat Russland den Krieg erklärt. Wie gefährlich kann das für uns werden? Ist Russland in der Lage, in westlichen Ländern Chaos zu erzeugen? Sind nach solchen Cyberattacken Strom- oder Telefonausfälle möglich? Engpässe bei der Treibstoffversorgung und bei Lebensmitteln oder ein Zusammenbruch wichtiger Infrastrukturen?
Alena Epifanova: Ich glaube, es ist tatsächlich eine Gefahr. Es kann dazu kommen, dass Russland versuchen wird, eigene Cyberkapazitäten einzusetzen, weil wir sehen, dass der Kreml sagt, wir werden mit Gegensanktionen oder Gegenmaßnahmen auf die westlichen Sanktionen antworten. Praktisch haben sie natürlich ziemlich wenig Spielraum. Und dann kommen solche asymmetrischen Maßnahmen, wo Russland mit sozusagen weniger Kapazitäten größeren Schaden verursachen kann, tatsächlich als eine Option.
Und wir wissen auch über die erfolgreichen Cyberattacken wie Solarwind oder Petya. Also das heißt, da war jetzt nicht nur so eine Webseite vom Bundestag nicht mehr erreichbar, sondern es kam tatsächlich zu Störungen von lebenswichtigen Stoffen und da führen die Spuren nach Russland. Also das ist ganz klar. Vielleicht wurde es nicht genau vom Kreml angeordnet, aber doch von bestimmten Kräften, die im Interesse des Staates agieren. Und klar, wir müssen dann auch mit Desinformationskampagnen rechnen, auch wenn sie jetzt sozusagen nicht das wichtigste Ziel des Kremls sind. Aber ich glaube schon, dass es darum geht, jetzt auch Russland zu beweisen, dass es auch um eine neue Weltordnung geht. Und das versucht er ja auch mit diesem Krieg zu zeigen, dass es nicht nur Amerikaner sind, die entscheiden können, in welche Länder sie einmarschieren und was sie da machen, sondern Russland ist auch in der Lage, eigene Sicherheitsinteressen in jedem Land durchzusetzen.
Ich glaube, diese Idee einer neuen Weltordnung von Russland, das könnte auch durchaus ein Narrativ, eine Desinformationskampagne sein. Und Telekommunikationsnetzwerke, auch Banken und staatlichen Behörden, also die sind auf jeden Fall in Gefahr. Also dass Russland das tatsächlich in eigenen Cyberattacken benutzen kann, weil, wie ich so Wladimir Putin dann höre und die ganze Rhetorik, befindet er sich im Krieg – nicht nur mit der Ukraine, sondern mit dem Westen. Und das heißt, da kann er tatsächlich bestimmte asymmetrische Maßnahmen anwenden und die Cyberattacken sind offensichtlich eine Option.
Carsten Roemheld: Dann wollen wir das trotzdem mal nicht hoffen. Wir haben viele offene Fragen immer noch, wir konnten nur einige davon beantworten. Frau Epifanova, vielen, vielen Dank für Ihre spannenden Einsichten, die Sie uns heute mitgeteilt haben.
Auch vielen Dank, liebe Zuhörer, dass Sie dabei waren. Ich freue mich sehr auf das nächste Mal. Alle weiteren Informationen finden Sie auf unserer Website www.fidelity.de. Ich danke Ihnen herzlich noch mal fürs Zuhören und freue mich, wenn Sie das nächste Mal wieder dabei sind.
Ihr Carsten Roemheld.
Alena Epifanova: Vielen Dank.

Alena Epifanova
Alena Epifanova ist Research Fellow im Themenschwerpunkt Internationale Ordnung und Demokratie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP). Sie beschäftigt sich mit Russlands Internet und IT-Politik und deren geopolitische Bedeutung. Epifanova studierte Politikwissenschaft in Deutschland und Russland und ist Alumna des Internationalen Parlamentsstipendiums des Deutschen Bundestages (IPS) sowie der Friedrich-Naumann-Stiftung. Sie publiziert Analysen und Op-eds bei der DGAP und anderen Think Tanks und kommentiert aktuelle Ereignisse in internationalen Medien wie Financial Times, WIRED, Tech Monitor und BBC.
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Stand: März 2022, MK13910
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