Während der Westen versucht, Russland mit Sanktionen in die Knie zu zwingen, präsentiert sich der Staat in überraschend robuster wirtschaftlicher Verfassung. Der Grund: Russland hat vorgesorgt, bevor es in den Krieg gezogen ist.

Seit Februar herrscht Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Der Westen reagierte sofort – und zwar mit Sanktionen: Ein- und Ausfuhrbeschränkungen, SWIFT-Ausschluss und Transaktionsverbote für die russische Zentralbank gehörten zu den Antworten der ersten Stunde. Der gewünschte Effekt hat sich bisher allerdings nicht eingestellt. Man kann dies unter anderem auch am russischen Rubel ablesen, der inzwischen überraschenderweise einen höheren Stand zum US-Dollar erreicht hat als vor Ausbruch des Krieges.

Darüber hinaus präsentiert sich der Staat trotz vieler Sanktionsstufen weiterhin finanziell handlungsfähig. Warum das so ist, zeigt ein Blick in Russlands „Nationalen Wohlfahrtsfonds“. Dessen Wert kletterte zum 1. Juni auf umgerechnet 197,7 Milliarden US-Dollar.1

Allein im Mai hatte der Fonds um 42,5 Milliarden US-Dollar zugelegt, nachdem ausstehende Einnahmen aus dem Jahr 2021 zugebucht wurden – und die Einnahmen wachsen weiter. Das Vermögen dürfte inzwischen sogar ein neues Allzeithoch erreicht haben. Das lag bisher im November 2021 bei 197,75 Milliarden US-Dollar.

Der Wohlfahrtsfonds ist so etwas wie Putins Kriegskasse. Im Jahr 2008 eigentlich gegründet, um die Renten im Staat langfristig abzusichern, will Russland in diesem Jahr die erwarteten Haushaltsdefizite mit dem Kapital ausgleichen. Das Geld stammt übrigens - wenig überraschend - überwiegend aus Einnahmen der staatlichen Öl- und Gasindustrie. Und die hohen Preise spülen laufend neues Kapital in die Kasse. 

Dank der hohen Rücklagen dürfte Russland noch länger auch ohne Zugriff auf US-Dollar-Reserven und andere Auslandsvermögen und ohne Teilnahme am internationalen Zahlungsverkehr finanziell handlungsfähig bleiben. Augenscheinlich hat sich der Staat in diesem Sinne gut vorbereitet: In den drei Jahren vor Kriegsbeginn hat Russland das Fondsvermögen mehr als verdreifacht.

Tatsächlich leidet die Wirtschaft des Landes massiv unter den Sanktionen. Finanzministerium und Zentralbank in Russland rechnen aktuell mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um bis zu zwölf Prozent. Die Inflationsrate könnte parallel dazu auf mehr als 20 Prozent steigen.2
 
Mit den laufenden Sanktionen wird es somit kurzfristig kaum gelingen, Russland wirtschaftlich so zu schwächen, dass Putin den Krieg nicht mehr fortsetzen kann. Ein anderer Faktor könnte da eher helfen: Die Liefersperren für westliche Hochtechnologie erschweren Russland nach jüngsten Medienberichten inzwischen die Reparatur und den Nachschub beim modernen Kriegsgerät. Bei manchen Waffen ist die Not laut Berichten inzwischen so groß, dass schon Chips aus Geschirrspülern und Kühlschränken verbaut wurden.3 Über die Folgen des Exportstopp von Halbleitern aus dem Westen nach Russland habe ich in meinem Podcast vor wenigen Wochen ausführlich mit der Expertin für Internet- und Technologiepolitik Alena Epifanova gesprochen.4

Fazit

Ein baldiges Ende des Angriffskriegs wird allein durch Sanktionen nicht herbeizuführen sein. Russland ist trotz Einbrüchen beim Bruttoinlandsprodukt und hoher Inflation weit von der Staatspleite entfernt, hat offenbar vorgesorgt und eine prall gefüllte Kriegskasse. Und weil mit den Sanktionen die Energiepreise steigen, konnte Russland die Einnahmen aus dem Gas- und Ölgeschäft zuletzt sogar noch steigern. Immerhin: Exportverbote westlicher Technologien könnten sich als deutlich wirkungsvoller erweisen.

 

Quellenangaben:

1 Tagesschau - "Russlands Finanzpolster wächst rasant": https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/staatsfonds-russland-finanzen-putin-oel-gas-101.html
2 ZDF - "Was Sanktionen gegen Russland bewirken": https://www.zdf.de/nachrichten/politik/sanktionen-russland-wirkung-krieg-100.html
3 n-tv - "Russen nutzen Chips aus Geschirrspülern in Panzern": https://www.n-tv.de/panorama/Russen-nutzen-Chips-aus-Geschirrspuelern-in-Panzern-article23327011.html
4 Fidelity - "IT-Sanktionen gegen Russland: Wie sie wirken": https://www.fidelity.de/fidelity-articles/themen-im-fokus/it-sanktionen-gegen-russland-wie-sie-wirken/

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Carsten Roemheld

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Kapitalmarktstratege Fidelity International

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Carsten Roemheld

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