Carsten Roemheld: Seit gut 100 Tagen ist Donald Trump zum zweiten Mal als US-Präsident im Amt und damit nach herrschender Meinung der mächtigste Politiker der Welt. Und seit Amtsantritt hat er seine Macht an ganz unterschiedlichen politischen Schauplätzen demonstriert und damit zum Teil heftige Reaktionen hervorgebracht. Hier ein paar Auszüge aus der bisherigen Agenda: Am sogenannten Liberation Day verkündete Trump Anfang April Zusatzzölle für US-Importe und versetzte die Finanzmärkte in Aufruhr. Zwar räumte er eine Woche später eine Frist von 90 Tagen ein, aber das Thema ist nicht vom Tisch, zumal er gegenüber China auf einen deutlichen Eskalationskurs ging. Gemeinsam mit seinem Vertrauten und Wahlkampffinancier Elon Musk ließ Trump Tausende Beamte aus Bundesbehörden entlassen. Im Inland verschärfte er derweil die Migrationspolitik, schloss die Grenzen und schob zuletzt in großer Zahl Menschen in Nachbarländer ab. Notenbankpräsident Jerome Powell diskreditiert er öffentlich als “Mister Too Late” und drohte mehrfach, ihn des Amtes zu entheben. Und er entfachte Streit mit gleich mehreren Eliteuniversitäten des Landes, denen er milliardenschwere Zuschüsse strich. Die Harvard Universität wehrte sich zuletzt heftig gegen diesen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Über all das will ich heute mit Professor Rüdiger Bachmann sprechen. Er ist deutsch-amerikanischer Ökonom und lebt seit mehr als 20 Jahren in den USA. Dort lehrt er an der University of Notre Dame im Bundesstaat Indiana und war Gastprofessor in Yale und in Harvard. Er beschäftigt sich mit einem Forschungsfeld, das in diesen Zeiten besonders spannend klingt: die Makroökonomik der Unsicherheit. Und er war schon einmal zu Gast hier bei uns im Podcast, kurz nach dem Amtsantritt von Joe Biden 2021. Heute sprechen wir über die großen Fragen rund um Donald Trump. Welche Konsequenzen hat sein Angriff auf den Welthandel und die Wissenschaft? Wie wirkt sich die trumpsche Politik auf die US-amerikanischen Rekordschulden aus? Was hat er mit dem Mar-a-Lago-Plan vor? Und wie ist eigentlich die Stimmung in den USA nach 100 Tagen Trump? Heute ist der 6. Mai 2025. Mein Name ist Carsten Roemheld. Ich bin Kapitalmarktstratege bei Fidelity und Sie hören den Fidelity Kapitalmarkt Podcast. Und ich freue mich sehr auf das Gespräch mit Rüdiger Bachmann in den kommenden 45 Minuten. Herzlich willkommen, Herr Professor Bachmann!
Rüdiger Bachmann: Vielen Dank, dass ich wieder dabei sein darf.
Carsten Roemheld: Ja, Sie sind der perfekte Gesprächspartner in der aktuellen Situation als Professor in den USA unter Trump. Und wir kommen gleich am Anfang mal zu dem Thema Universitäten, weil sie selbst an einer Universität lehren, nämlich die University of Notre Dame in Indiana. Wie ist aktuell die Stimmung bei den Studierenden und den Lehrenden bei Ihnen auf dem Campus?
Rüdiger Bachmann: Ich finde es eine ganz merkwürdige Stimmung. Es gibt fast eine künstliche Vermeidung oder bewusste Vermeidung politischer Themen. Was sehr interessant ist, gerade auch für Ökonomen, weil es da eigentlich ständig um zumindest wirtschaftspolitische Themen gehen sollte. Aber man hat so das Gefühl, die Leute ziehen sich ein bisschen ins Private zurück. Man interessiert sich vielleicht - wie im März - für College Basketball und solche Sachen. Man hat das Gefühl, dass niemand so richtig darüber reden will. Und nun ist es auch so, ich bin an der katholischen Universität, die zwar auch in ihrer Mehrheit eher linksliberal ist, was die Studentenschaft und die Professorenschaft angeht. Aber anders als bei säkularen Universitäten gibt es eine große Minorität von konservativen Studenten aus dem katholischen Milieu und eben auch konservative Professoren. Und da sind zum Teil natürlich welche sehr zufrieden mit Trump und seiner Agenda. Einer der intellektuellen Vordenker für zum Beispiel J.D. Vance, ist Patrick Denis. Der ist ein Politikwissenschaftler in politischer Ideengeschichte an der University of Notre Dame oder auch an der Law School. Es gibt konservative Juristen, die das durchaus zum Teil gut finden, was die Trump-Administration macht.
Carsten Roemheld: Und außerhalb der Universität in ihrem Bundesstaat Indiana, was traditionell auch eine republikanische Hochburg ist, da kommt auch Mike Pence her, der Vize während der ersten Amtszeit von Donald Trump. Und es zählt auch zum Rust Belt, der industriellen Herzkammer der USA, die Trump wieder gerne sehr deutlich beleben und groß machen würde. Wie blicken denn die Menschen in ihrem Bundesstaat auf den Beginn der Amtszeit?
Rüdiger Bachmann: Ja, schwierig, weil ich auch in universitären Bubbles lebe, das ist ganz klar. Einerseits beruflich, andererseits dann aber auch was den Wohnort betrifft. Ich wohne eigentlich auch gar nicht in Indiana. Ich wohne in Michigan, was eher ein demokratischer Staat ist. Notre Dame ist nämlich direkt an der Grenze zwischen Indiana und Michigan. Aber diese Universitätsstädte sind politisch linksliberal dominiert. Insofern ja, auch da sind die Leute gelähmt, entsetzt. Aber auch da hat man das Gefühl, man will nicht drüber reden. So richtig Widerstand will auch nicht aufkommen. Jeder zieht sich zurück. Das ist eine ganz merkwürdige, ganz unheimliche Stimmung würde ich fast sagen.
Carsten Roemheld: Ja, man hat auch von außen den Eindruck, dass die gegnerischen Stimmen, die in der ersten Amtszeit noch relativ groß waren, dass sie ein bisschen zum Verstummen gekommen sind in der Zwischenzeit. Sind Sie denn persönlich auch in irgendeiner Art und Weise von der Debatte betroffen?
Rüdiger Bachmann: Sie meinen jetzt die Maßnahmen gegen die Universitäten? Insofern, dass man Angst hat, was da noch kommen kann? Konkret ich persönlich nicht. Das liegt aber schlicht daran, dass mein Fach, die VWL, nicht so drittmittelabhängig ist wie eben Naturwissenschaftler oder Mediziner oder Ingenieurwissenschaften, also alle Experimentalwissenschaftler, die große Labore brauchen. Die sind sehr abhängig von diesen Drittmitteln. Und wie in Deutschland auch, ist es eben so, dass der Bund in Amerika traditionell der Hauptgeldgeber war. Es gibt auch private Stiftungen, was auch weitergeht. Aber für die Kollegen ist es zum Teil ganz schlimm, weil die dann nichts mehr machen können. Solange sie „tenure“ haben, also die Lebenszeit-Einstellung, ist zwar das persönliche Gehalt gesichert, aber ansonsten müssen die auf ihrem Schreibtisch sitzen, die können dann nichts mehr machen. Als Ökonom kann man immer noch was anderes machen. Im Zweifelsfall arbeite ich wieder so wie Ökonomen aus dem 19. Jahrhundert, nämlich sehr geisteswissenschaftlich und schreibe ein Buch. Ginge notfalls auch. Insofern bin ich da persönlich jetzt noch nicht so betroffen. Aber ich merke es zum Beispiel an so Sachen wie – und das betrifft mich schon auch im weiteren Sinne persönlich – wenn ich sehe, dass unsere Doktoranden Schwierigkeiten haben, Jobs zu bekommen. Als VWL-Doktorand ist es völlig undenkbar, dass man dann keinen adäquaten Job bekommen hat. Zwar nicht immer an Universitäten oder Forschungseinrichtungen, aber doch einen ausbildungsadäquaten Job. Das war völlig normal, weil man gut ausgebildet war. Die Fähigkeiten von VWL-Doktoranden waren immer nachgefragt auf dem Markt und zum Teil eben auch von Regierungen von staatlicher Seite. Und diese Nachfrage ist weggefallen. Die universitäre Nachfrage ist zum großen Teil weggefallen, weil die Universitäten das Geld jetzt zusammenhalten wollen, und das merkt man, das tut einem dann leid. Da sind super ausgebildete junge Ökonomen, die eigentlich jetzt ihren ersten Schritt in ihre Karriere machen wollen und das nicht können. Und das bricht einem das Herz als Forscher.
Carsten Roemheld: Trump hat schon mehrere Dekrete unterzeichnet, die darauf abzielen, die Universitäten und die Hochschulen stärker zu kontrollieren. Es geht um Diversitätsprogramme und es geht auch um israelfeindliche Proteste auf dem Campus. Dass da zu wenig dagegen unternommen worden ist vonseiten der Universitäten und so weiter. Manche Professoren sprechen auch davon, dass die USA auf eine fast faschistische Diktatur zusteuern. Würden Sie mitgehen bei solchen Aussagen? Was kann denn noch kommen in Bezug auf die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit in den USA?
Rüdiger Bachmann: Ganz konkret, sehr viel kann da noch kommen. Die Faschismus-Frage beantworte ich dann danach. Ich glaube, wir sind tatsächlich erst am Anfang. Über Regulierung hat der Präsident oder hat die Exekutive große Macht, die zum Teil übrigens auch die Demokraten genutzt haben, um zum Beispiel die DEI-Agenda durchzudrücken. Die wurde auch über Regulierungen durchgedrückt. Alle Universitäten und die, die Bundesmittel wollen, müssen sich an bestimmte Gesetze halten und die kann man so und so auslegen. Und die Demokraten haben die in einer bestimmten Weise ausgelegt, in der DEI-Agenda durchgedrückt, und die Republikaner unter Trump, die drücken eben ihre Agenda durch. Da kann sehr viel kommen über Regulierung, etwa über das Steuerrecht. Die klassischen großen Universitäten in den USA, die sind alle steuerbefreit. Die sind Non-Profit-Organisationen. Die sollen eigentlich keinen Profit machen, sondern auf Deutsch würde man vermutlich ungefähr sagen, das sind gemeinnützige Organisationen, sie machen keinen Profit. Das heißt, im Prinzip sollen die auch keine Steuern zahlen. Das stimmt nicht ganz, weil deren Stiftungsvermögen machen schon Gewinne. Diese Gewinne sollen dann aber zu dem gemeinnützigen Zweck der Forschung und für die Studenten ausgegeben werden. Und das kann man zumindest mal drohen, zu besteuern. Wie legal das ist, das ist umstritten. Aber zunächst kann die Steuerbehörde das versuchen durchzusetzen. Und dann braucht man mindestens mal sehr lange Gerichtsverfahren. Das müssen die Universitäten dann durchgehen, um das möglicherweise abzuwehren. Über Steuerrecht kann man sehr viel machen. Da kann man Universitäten, auch reiche Universitäten übrigens, treffen, weil man sagt, Harvard hat so viel Geld, was kann denen schon passieren? Denen kann schon viel passieren, weil der Bund über das Steuerrecht eben ein massives Zugriffsrecht hat. Und dann kann man natürlich weiter an der Migrationsschraube drehen. Wenn wir keine Migration, faktisch keine Migration mehr haben – und zwar entweder dadurch, weil sie verboten wird oder so eingeschränkt wird, dass sie eben nicht mehr stattfinden kann oder weil die Leute Angst haben und nicht mehr in die USA kommen wollen und Jobs annehmen wollen – dann bricht hier das Universitätssystem zusammen. Die USA, das Wissenschaftssystem, die Innovationskraft der USA, oder das US-Wissenschaftssystem, haben dadurch profitiert, dass sie überall auf der Welt die besten Leute rekrutieren konnten. Und wenn das ausfällt, das wird einen massiven Wachstumsfaktor für die USA eliminieren. Das ist ein ganz massives Problem. Und wir sehen am deutschen Beispiel, die Deutschen kennen das ja, dass solche Prozesse durchaus permanent sein können. Die deutschen Universitäten haben sich bis heute nicht vom Exodus in den frühen dreißiger Jahren wichtiger Wissenschaftler in die USA erholt. Und umgekehrt haben die amerikanischen Universitäten bis heute davon profitiert. All das sind sehr langfristige Prozesse. Da kann noch einiges kommen. Jetzt zur Faschismus-Frage: Das ist letztlich eine sehr semantische Frage. Man kann sagen, Faschismus ist nur das, was in 20er oder 30er-Jahren in Italien passiert ist, das ist die engste Faschismusdefinition. Aber was man auf jeden Fall feststellen kann, ist, dass es Strukturgemeinsamkeiten gibt mit diesen faschistischen Regimen. Da gehört eben das Führerprinzip ganz eindeutig dazu, der Führerkult um diesen Präsidenten, dem man alles durchgehen lässt, auch durch die Partei. Der sukzessive Angriff auf eine unabhängige Justiz, unabhängige Wissenschaften, alle unabhängigen Säulen, die ein demokratisch-republikanisches Gemeinwesen ausmachen. Dieser Angriff auf diese Säulen und die als Kontrollinstanzen fungieren, wie die Kunst, auch die freie Kunst, die Presse. All diese Angriffe, das sind faschistische Elemente. Wir bekommen jetzt Militärparaden in den USA, was völlig ungewöhnlich ist für ein Land wie die USA. Der Militarismus, die Drohung mit Angriffen gegenüber Panama, Kanada, Grönland, das hat faschistische Tendenzen. Auch dieses pseudo-religiöse, dieses Spielen mit religiösen Mitteln. Es gibt auch eine Spielart des Klerikalfaschismus in den 20er und 30er-Jahren, auch diese Elemente sehen wir hier. Dieses rechts-katholische Milieu, das eine große Rolle spielt für diese Administration. Und dann diese Idee, dass ein Führer den direkten Willen des Volkes an den „Checks and Balances“, am Parlament, am Justizwesen usw. vorbei ausführt. Das Regieren mit Executive Orders am Parlament vorbei und dann mal abwarten, was passiert, ob es dagegen Klagen gibt. Das sind alle Strukturelemente des Faschismus. In diesem Sinne kann man die Antwort auf die Faschismusfrage bejahen.
Carsten Roemheld: Haben Sie noch Vertrauen in die „Checks and Balances“? Das war einer der Punkte, den viele hochhalten und sagen, die haben wir zum Glück noch, und die funktionieren auch weitestgehend noch. Wie ist das aus Ihrer Sicht - gibt es da Gefahren, dass die „Checks and Balances“ nicht mehr funktionieren?
Rüdiger Bachmann: Absolut, ja, klar. Das ist eine völlig offene Frage. Ich will auch nicht sagen, dass es schon ausgemacht ist, dass sie verschwinden und nicht funktionieren. Aber das ist eine völlig offene Frage, weil es eben sukzessive und systematische Angriffe immer wieder jeden Tag auf alle diese Säulen gibt. Was noch am schwierigsten ist in den USA, anders als etwa in Frankreich oder in Großbritannien oder Ungarn zum Beispiel, was ein relativ zentralistischer Staat ist. In Ungarn ist es einfacher durchzuregieren. Die USA sind noch föderaler organisiert als Deutschland. Das heißt, die Einzelstaaten haben im Prinzip schon Macht, aber auch da habe ich bisher noch nicht gesehen, dass die Gouverneure - mit wenigen Ausnahmen - wirklichen Aufstand oder Widerstand organisieren gegen die Zentralgewalt. Da kann man Hoffnung drin haben, oder da hatte ich Hoffnung noch im November, muss ich ehrlich sagen. Aber bisher habe ich noch nicht so viel gesehen. Die Einzelstaaten und die Gouverneure verfügen durchaus sogar mit ihren Nationalstaaten über so eine Art Militär. Im Prinzip habe ich noch kein großes Vertrauen, dass da entsprechender Widerstand käme. Aber wie gesagt, die Hoffnung stirbt zuletzt.
Carsten Roemheld: Weil Trump per Dekret und per Executive Orders regiert und man im Moment den Eindruck hat, der Kongress existiert überhaupt nicht – haben Sie den Eindruck, dass da mal irgendwas in den Weg kommen könnte, weil er versucht immer neue Notstandslagen zu konstruieren, um das zu begründen? Aber da müsste man sicherlich rechtlich auch ein paar Fragezeichen stellen. Haben Sie den Eindruck, dass das passiert oder dass das so weitergehen kann?
Rüdiger Bachmann: Übrigens auch ein Strukturmerkmal des Faschismus. Carl Schmitt sozusagen - “Regieren über den Ausnahmezustand“ - das ist genau das Drehbuch, das hier jetzt durchexerziert wird, genau am Parlament vorbei. Bisher sehe ich es noch nicht. Wir sehen in Amerika die republikanische Senatorin Lisa McCarthy aus Alaska, die gefilmt wird mit einem Statement, dass sie Angst hat. Persönliche Angst um ihre eigene Sicherheit, wenn sie mehr tut als das Wenige, was sie jetzt tut. Wir sehen es auch nicht im Kongress. Und solange diese Mehrheitsverhältnisse sind, wie sie sind – und sie sind eben knapp in beiden Häusern pro republikanisch – kann man da auf keine Abweichler hoffen. Das kann sich ändern, sollte sich die Wirtschaftskrise tatsächlich verstärken. Und je näher wir dann an die Midterms kommen, insbesondere im Repräsentantenhaus, da gibt es durchaus einige vulnerable republikanische Abgeordnete, die so gerade ihren Sitz gewonnen haben. Da kann man schon hoffen, dass es dann möglicherweise Abweichler geben wird. Aber bis jetzt sehe ich das noch nicht. Und bis jetzt haben die Republikaner noch die Hoffnung, dass sie eine große Gesetzgebungsagenda durchpauken können. Und das diszipliniert und ist auch anders als heute jetzt im Bundestag, wo man gerade so eine mittlere knappe Mehrheit hatte und es eben gerade nicht geklappt hat mit Friedrich Merz im ersten Wahlgang. Die Republikaner haben eine deutlich geringere Mehrheit, je nachdem wie man zählt. Und da gibt es auch ständig irgendwelche, weil auch immer mal ein Sitz eines Abgeordneten vakant ist, den man dann neu wählen muss. Aber die haben etwa so 5 bis 6 Sitze Mehrheit. Das ist sehr gering und das diszipliniert unheimlich. Also bisher sieht man da noch nichts.
Carsten Roemheld: Gehen wir mal zum inhaltlichen Schwerpunkt auch Ihres Forscherlebens über, der Ökonomie. Sie hatten gerade den Wirtschaftsstatus schon angedeutet, beginnen wir mit den Zöllen: Können Sie uns aus Ihrer Sicht erklären, mit welchem Kalkül Trump diesen Liberation Day durchgezogen hat? Mit welchem Kalkül er diese Zölle angekündigt hat und was der Hintergrund für diese Maßnahmen sein soll?
Rüdiger Bachmann: Das ist sehr schwierig, weil das bedeutet, dass man was zu rationalisieren versucht, was eigentlich nicht zu rationalisieren ist – was eigentlich völlig verrückt ist. Ich kann es aber trotzdem mal probieren. Aber ich sage ganz explizit, dass man das eigentlich nicht rationalisieren sollte. Bestimmte Dinge sollte man nicht versuchen schönzureden. Aber wenn man das noch einigermaßen rationalisieren will, und auch mit vernünftiger Wirtschaftstheorie, dann ist es so: Es gibt ein Argument für Zölle, in bestimmten ausgesuchten Bereichen wie der Geopolitik und die nationale Sicherheit. In einer Lage, wo der größte strategische Rivale, den man möglicherweise auch in einer militärischen Auseinandersetzung, etwa im Südpazifik, irgendwann mal begegnen könnte, nämlich China, dann ist es eine ungünstige Situation, wenn man, was das verarbeitende Gewerbe angeht, völlig abhängig von diesem strategischen Rivalen ist. Das kann man schon verstehen, dass es bestimmte geopolitische Gründe gibt, warum man von der kompletten Freihandelslösung, die eben ohne diese geopolitischen Überlegungen immer die beste ist, abweichen will. Nur dann würde man das nicht so machen wie Trump. Das muss man auch gleich dazu sagen. Dann würde man nicht die Zölle gegenüber den Alliierten oder denjenigen erheben, die eigentlich Alliierte sein sollten. Die Frage ist, ob sie das noch sind. Man würde das eben auch viel zielgenauer machen, eben auf Dinge, die relevant sind für die nationale Sicherheit und jetzt nicht wie gestern oder vorgestern angekündigt wird, für die Filmindustrie oder solche Sachen. Insofern passt das alles nicht zusammen, aber ich meine, das wäre ein Argument. Das andere Argument ist, was die Ökonomen learning by doing nennen. Mit anderen Worten, das ist so ein Argument zu sagen: Weil wir eben eine bestimmte Basis von Kenntnissen und Fertigkeiten im verarbeitenden Gewerbe brauchen, um eben Drohnen und Militärgerät, Chips, möglicherweise Halbleiter herzustellen, brauchen alle diese Bereiche ein gewisses Vorfeld oder einen gewissen Schmelztiegel. Da müssen eben genug Ingenieure und genug Facharbeiter da sein. Und wenn man das eben vernachlässigt, wenn man diese industrielle Basis, wie das in Deutschland auch gern gesagt wird, dann nicht mehr hat, dann funktioniert eben auch das Geopolitische nicht. Das heißt, man muss bestimmte Produktionsketten im Land halten, um die Fertigkeiten der Leute, das Humankapital und die Fertigkeiten der Leute in Amerika im verarbeitenden Gewerbe zu erhalten. Das ist im Grunde das beste Argument. Aber auch dann würde man es anders machen. Dann würde man zum Beispiel nicht so eine komische Migrationspolitik machen. Denn viele der Ingenieure haben oft Migrationshintergrund in den USA. Schauen Sie sich mal an, wer so in den Engineering-Schools sitzt, das sind oft Inder und Chinesen. Und die will man jetzt gerade rausschmeißen. Sehr ungünstig. Und die einfachen Arbeiten, das sind vielleicht oft Latinos, die man auch verprellt. Es passt alles hinten und vorne nicht zusammen. Insofern glaube ich einfach, dass die weniger rationalen Erklärungstheorien die besseren sind. Nämlich so eine Mischung aus falscher Wirtschaftstheorie, Merkantilismus, Nachdenken über Wirtschaften und Tauschen und Handel als Nullsummenspiel. Das heißt, wenn wir tauschen, dann nehmen sich die Leute gegenseitig was weg. Was völlig absurd ist, weil der Tausch freiwillig geschieht und dann haben im Zweifel beide was davon. Man müsste sonst nicht tauschen. Ein Missverständnis davon, was es für Amerika bedeutet, ein Handelsbilanz- oder Leistungsbilanzdefizit – hauptsächlich ein Handelsbilanzdefizit – zu haben gegenüber dem Rest der Welt. Dass ist nämlich in Amerikas Fall ein Ausdruck der Stärke, nämlich der Stärke des Kapitalmarkts, weil es einen Kapitalmarktbilanzüberschuss gibt und Amerika eben traditionell das Land war, das der Welt die Dienstleistung eines hoch liquiden, hoch rechtssicheren, Kapitalmarkts zur Verfügung gestellt hat. Und das in einer Weise, dass kein anderes Land der Welt, nicht mal Europa, in dieser Menge und in dieser Dicke des Kapitalmarkts bereitstellen konnte. Und das Handelsbilanzdefizit ist letztlich nur ein Ausdruck der Gebühr, die der Rest der Welt den Amerikanern in Form von Gütern liefert, um diesen Kapitalmarkt benutzen zu dürfen. Das ist eine falsche Wirtschaftstheorie.
Und bei Trump kommt dann noch ein faschistisch-kleptokratisches Element hinzu, weil er nämlich Zölle, die festzulegen zwar verfassungsmäßig eigentlich auch das Prärogativ des Kongresses ist und des Parlaments. Das wurde aber mal von dem eine Art Ermächtigungsgesetz - vorsichtiges Wort -, aber man kann das durchaus glaube ich hier sagen, in den 20er-Jahren im 20. Jahrhundert, vom Kongress an den Präsidenten übergeben. Andererseits die Steuergesetzgebung - Trump hat sich jetzt irgendwie so ausgedacht: Na ja, dann ich will mehr Staatseinnahmen über Zölle bekommen, so wie im 19. Jahrhundert auch. Er hat so eine ganz komische reaktionäre Faszination mit dem 19. Jahrhundert. Ich will jetzt mehr Staatseinnahmen über Zölle bekommen und dann mache ich Ausnahmen. Und zwar die Ausnahmen an diejenigen, die mich toll finden, die mich loben, die vielleicht spenden für mich. Alles passt auch in dieses kleptokratische Element am Parlament vorbei. Bei Steuergesetzgebung geht es nicht, da geht diese Günstlingswirtschaft nicht so einfach. Das ist glaube ich die Melange, über die man hier nachdenken muss und eben nicht rational. Es hat eine gewisse innere Rationalität, aber keine volkswirtschaftliche Rationalität.
Carsten Roemheld: Jetzt sind wir uns einig, dass wahrscheinlich China der Hauptadressat ist, gegen den sich diese Sache richtet und deswegen auch sicherlich den größten Fokus dafür bekommt. Jetzt haben sich die beiden hochgeschaukelt bis zu Zöllen, die einen Handel de facto zum Erliegen gebracht haben. Was glauben Sie, wie gefährlich ist denn diese Eskalation für die USA? Und im Moment sieht es so aus, als sind die Fronten verhärtet und man würde nicht unbedingt an den Tisch kommen. Für wie gefährlich halten Sie das aktuell?
Rüdiger Bachmann: Massiv gefährlich. Die Amerikaner werden das bald spüren. Letzte Woche kamen die ersten Bruttoinlandstatistiken vom ersten Quartal raus, die Vorabschätzung. Das ist eine Art Hochrechnung, das heißt, da ist viel Unsicherheit dabei, aber es basiert schon auf ersten Daten und ist keine reine Prognose. Da haben wir die ersten Daten und die sprechen ein klares Bild, nämlich, dass die Importe massiv nach oben geschossen sind. Die Lagerbildung ist massiv nach oben geschossen. Das heißt, die Wirtschaftsteilnehmer, insbesondere die Importeure in Amerika, die wussten oder damit gerechnet haben was kommt, haben sich im ersten Quartal noch mal massiv eingedeckt. Und das heißt, es wird noch ein paar Wochen dauern, bis diese Läger abgebaut sind. Und dann gibt es leere Regale in amerikanischen Supermärkten. Und das kann dann in der Tat dazu führen, dass es vielleicht ein politisches Umdenken gibt im Kongress. Das kann die Hoffnung sein. Aber natürlich ist das massiv gefährlich, weil die Amerikaner um sich selbst herum eine Seeblockade aufgerichtet haben. Und das macht eigentlich überhaupt keinen Sinn. Und am Ende ist es auch für die Chinesen hart. Auch die werden getroffen in einer – und das wird in Deutschland, glaube ich nicht gut verstanden –wirtschaftlich harten Situation. Denen geht es nicht gut. In Deutschland hat man das immer noch so bewundert: Die Chinesen werden alles dominieren und so. Nein, die Chinesen haben ein riesiges demographisches Problem, haben ein riesiges Problem mit Missallokation von Kapital im Immobiliensektor, einem viel zu aufgeblähten Immobiliensektor. Der Bankensektor ist nicht gesund, wird nur künstlich am Leben erhalten. Den Chinesen geht es auch nicht wirtschaftlich gut. Insofern trifft es auch die Chinesen. Aber die Chinesen können über den Rest der Welt diversifizieren. Und der amerikanische Markt ist zwar groß, aber er ist nicht so groß, und ich glaube, die Chinesen sitzen am Ende des Tages am längeren Hebel. Insofern ist das eine Wohlstandsvernichtung für die Amerikaner.
Carsten Roemheld: Wie sehen Sie denn vor dem Hintergrund das Thema US-Verschuldung? Die USA haben Rekordschulden, aktuell auch in Bezug auf Schulden gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Die aktuelle Situation deutet eher darauf hin, dass diese Schulden noch größer werden insgesamt. Und auch die Einsparungen, die jetzt vorgenommen werden sollen, fallen wohl geringer aus, deutlich geringer, als man das vielleicht erwartet. Rutschen die USA Ihrer Ansicht nach in eine Verschuldungskrise?
Rüdiger Bachmann: Man muss aufpassen. Die Staatsschulden in Amerika sind ein Problem, das sollte man nicht vernachlässigen. Nur die Mittel, die Politik, passt da auch nicht dazu. Wenn es eine Rezession oder anämisches Wachstum in Amerika gäbe, dann würde das der Schuldenstands-Quote überhaupt nicht helfen, denn das ist der Quotient aus Schulden und Bruttoinlandsprodukt. Und wenn das Bruttoinlandsprodukt nicht wächst, dann wird das gefährlich. Gefährlich ist also die Schuldenstandsquote, nicht das absolute Volumen der Schulden. Das hilft nicht. Auch die Zölle helfen nicht in dem Sinne, dass man da jetzt große Staatseinnahmen zusätzlich erhofft. Vor allen Dingen konkurrieren die Ziele. Entweder ist es so, dass man Staatseinnahmen kreieren will, dann muss man die Zölle aber belassen, dann sind Sie keine Verhandlungstaktik. Oder aber sie sind eine Verhandlungstaktik, wie von einigen auf der Republikaner Seite immer noch behauptet wird, dann kann man sie aber nicht als Staatseinnahmen verbuchen. Das passt alles hinten und vorne nicht zusammen. Und dann ist es aber so, Sie haben völlig recht, die Einsparungen, die Elon Musk da über DOGE angekündigt hat, sind lächerlich. Das passiert faktisch nichts. Und dann sollen die Steuererleichterungen weitergehen und die werden im Zweifelsfall das Defizit nicht verringern, im Zweifelsfall eher vergrößern. Insofern, es passt alles hinten und vorne nicht zusammen. Auch diese Administration tut nichts, um das in der Tat reale Schuldenproblem der Amerikaner zu lösen. Und die ganze Politik, die Trump macht, die macht faktisch das Schuldenproblem bei gleicher Höhe noch mal problematischer. Bei Staatsschulden gibt es keine absolute Höhe oder auch keine Schuldenstandsquote, ab der man sagen kann, es gab mal die Diskussion ab 90 % wird es gefährlich, alles Quatsch. Sondern es geht darum, was sind die Erwartungen der Kapitalmarktteilnehmer über die fiskalische Gesundheit eines Landes. Das ist die Frage. Man kann auch mit 200 Prozent Staatsschulden gut auskommen. Es kommt immer auf die Erwartungen der Kapitalmarktteilnehmer an. Trauen wir diesem Land zu, weiter zu wachsen, Rechtssicherheit zu haben, unser Geld wiederzubekommen und so weiter. Und alle Aktivitäten, die Trump jetzt macht, die Zölle, die Migrationspolitik, die ganze politische Unsicherheit, die steuert eben darauf hin, dass man Amerika als Kapitalmarkt dann auch irgendwann nicht mehr vertrauen kann und nicht mehr vertrauen wird. Das heißt, die Anleger der Welt werden versuchen, ihre Portfolios zu diversifizieren. Europa könnte da in der Tat sogar massiv von profitieren, denn wohin will man denn sonst gehen? Welches andere liberale, rechtssichere Staatengebilde will sich in Zukunft groß verschulden? Das ist hauptsächlich Europa. Für die Europäer könnten Staatsschulden billiger werden, was auch wieder seine eigenen Gefahren bietet natürlich. Aber insofern wird die gegebene Staatsschuldenlast noch mal gefährlicher. Solange die Amerikaner dieses Vertrauen genießen, und diese Aura der Pax Americana in die Welt projizieren, sehe ich die amerikanischen Staatsschuldenlast nicht so dramatisch. Wie gesagt, die ist zwar hoch und man muss durchaus aufpassen, dass sie nicht explodiert. Aber solange die Anleger eben den Amerikanern vertrauen, wo sollen sie denn sonst auch hingehen? Es ist gar nicht so einfach, Alternativen zu finden. Dann wäre das ein geringeres Problem als das mit der trumpschen Wirtschaftspolitik.
Carsten Roemheld: Ein Faktor, an dem man das Vertrauen auch der Kapitalmarktteilnehmer ablesen kann, ist die Währung, der US-Dollar, der jetzt durchaus geschwächelt hat von seinen Höchstständen und nicht mehr so zurückgekommen ist zu den alten Höchstständen. Es gibt eine Theorie des sogenannten Mar-a-Lago Accords. Da gibt es einen Chefökonom, Stephen Miran, der offensichtlich vorsieht, auch den Dollar bewusst zu schwächen. Und es sollen US-Staatsanleihen umgewandelt werden in 100-Jahres-Anleihen zu so gut wie keiner Verzinsung. Was steckt denn hinter diesem Plan und was wären die Konsequenzen, wenn so etwas angedacht wäre oder passieren würde?
Rüdiger Bachmann: Na ja, das wäre ein faktischer Staatsbankrott der USA. Juristisch vielleicht nicht, aber ökonomisch wäre das letztlich ein Staatsbankrot. Das wäre eine Zwangsumwandlung und das würden die Anleger nicht wollen. Sie müssten das zwar hinnehmen, aber es ist völlig unklar, wie sie dann reagieren würden. Vermutlich würde es eine massive Kapitalflucht aus den USA geben. Und dann haben wir eine Flucht aus dem größten Kapitalmarkt der Welt und mit völlig unvorhersehbaren Folgen. Da kann es durchaus völliges Chaos an den Finanzmärkten geben, sollte das durchkommen. Ja, was steckt dahinter? Da steckt eben wieder diese falsche Wirtschaftstheorie dahinter. Trump und seine Leute, die sehen eben dieses Handelsbilanzdefizit und das Leistungsbilanzdefizit als Schulden mit einem entsprechenden Schuldendienst. Sie sehen die USA in einer Zinsknechtschaft gegenüber dem Rest der Welt. Aber sie bedienen diese Anleihen in einer Währung, die sie selber drucken können. Das ist der Fehlschluss. Sie geben den Ausländern Papier und bekommen dafür reale Güter. Das ist ein Bombengeschäft, würde ich sagen. Die Ökonomen haben das auch das „exorbitant privilege“ genannt, das exorbitante spezielle Privileg, was eben die Gebühr der Welt ist. Die Welt bezahlt die Amerikaner bisher dafür, diesen ganz einzigartigen Kapitalmarkt mitbenutzen zu dürfen. Und es kann schon sein, dass das jetzt alles eliminiert ist, aber aus den falschen Gründen. Nämlich weil Trump das Vertrauen der Kapitalmarktanleger der Welt völlig verspielt. Und dann ist es so, dass durchaus der Überschuss in der Kapitalbilanz eliminiert wird, damit auch das Defizit in der Leistungsbilanz. Aber aus den völlig falschen Gründen. Es macht alles hinten und vorne keinen Sinn. Die Amerikaner befinden sich nicht in einer Knechtschaft gegenüber dem Rest der Welt, weil wie gesagt, es ist alles Verschuldung in Papierstückchen, die Amerikaner selber herstellen können. Und das ist eine sehr kommode Verschuldung.
Carsten Roemheld: Es gibt vielleicht noch zwei Elemente, die jetzt ein bisschen gegen Trump arbeiten und die ihn bisschen eingehegt haben. Das eine ist der Bond-Markt, der sicherlich in erster Instanz durch eine Steigerung der Renditen dazu geführt hat, dass er einen Rückzieher gemacht hat von seinen ersten Ankündigungen. Das zweite ist bis jetzt noch die Zentralbank FED, die bisher ihren Kurs, wenngleich auch in einer Pause, aber weiterführt und eben nicht den Gefallen tut, die Leitzinsen zu senken. Wie sehen Sie denn die Zukunft der Notenbank? Trump hat schon ein paar Mal diesen Konflikt mit Powell heraufbeschworen. Jetzt zuletzt hieß es, er bleibt bis zum Ende der Amtszeit. Aber sehen Sie denn auch die Notenbank ihre Unabhängigkeit einbüßen im Laufe der nächsten Jahre?
Rüdiger Bachmann: Ja, weil Trump abwarten kann. Ich glaube, Trump hat inzwischen kapiert, dass ein einfaches Feuern von Powell zumindest im Senat bei einigen Senatoren, republikanischen Senatoren, ein Schritt zu viel wäre. Selbst wenn er das jetzt erst mal machen könnte, dann muss man wieder durchs Gericht und durch die Gerichtsverfahren durchgehen, ob das legal ist und verfassungsmäßig und so weiter und so fort. Ich glaube, er hat kapiert, dass er diesen Konflikt gar nicht riskieren muss, weil die Amtszeit von Jerome Powell nächstes Jahr, in ziemlich genau einem Jahr, abläuft. Und dann kann er einen Loyalisten, einen Trumpisten in die FED installieren. Das ist ein mehrköpfiges Gremium, das geldpolitische Entscheidungen trifft, es ist nicht so, dass dieser Trump-Loyalist dann komplett diktatorisch entscheiden kann. Aber er hat eine gewisse Agenda-Setting-Power in den Sitzungen des Rates. Und insofern kann Trump schon die FED erstmal gefügig machen über die Installation eines ihm genehmen Loyalisten. Und diese Gefahr, die ist eminent. Absolut.
Carsten Roemheld: Lassen Sie uns im letzten Block noch ein bisschen auf die Stimmung im Land kommen und die neuesten Umfragen vielleicht erläutern. Trump kommt inzwischen nur noch auf Zustimmungswerte von 40 Prozent und darunter. Bei seinem ersten Amtsantritt war die Stimmung noch deutlich besser. Jetzt schneidet er sogar schlechter ab als sein Vorgänger Joe Biden. Wie sind denn aus Ihrer Sicht die Stimmungen im Land verteilt? Hat er denn unter seinen Fans immer noch die Zustimmung? Oder wo verliert er aktuell an Zustimmung? Auch im eigenen Lager möglicherweise von etwas gemäßigteren Republikaner?
Rüdiger Bachmann: Da gab es mal eine ganz interessante Grafik, ich glaube, in der Financial Times oder im Economist, die das sehr gut herausgearbeitet hat. Da hat man die Trump-Wähler, die im November 2024 gewählt haben, aufgeteilt in den MAGA-Kult, die absolute Trumpisten sind, und Trump-Wähler, die nicht „MAGA“ sind. Und was man da eben sehr schön sieht: Bei den MAGA-Kult-Leuten hat sich jedenfalls in der Umfrage – die Daten sind schon ein bisschen älter – bis in den März nichts geändert. Egal was man fragt - Migration, die Wirtschaft, ist immer alles gleichgeblieben. Daran sieht man, dass das Kultanhänger sind. Da sind blinde Jünger. So muss man die nennen, aber die „Nicht-MAGA-Leute“ sind ganz interessant. Die Stimmen nach wie vor zu, was die Migrationspolitik angeht. Und da muss ich sagen, da hat Trump zum Teil auch einen Punkt gehabt. Ich würde immer noch nicht zustimmen, wie er das macht, unter Missachtung jeglicher Prozesse, Regeln und Schutzregeln, die auch illegalen Immigranten verfassungsgemäß in den USA eigentlich zustehen. Da sind wir bei schwerem Verfassungsbruch. Es gibt einen offenen Verfassungsbruch. Das wird in Deutschland zu wenig und nicht genau berichtet, aber der Supreme Court hat eindeutig entschieden, die Rückkehr des Mannes aus Maryland, der in den El-Salvadorianischen Folterknast abgeschoben wurde „to facilitate“. Die Trump Regierung ist verpflichtet, dessen Rückkehr zu ermöglichen oder zu erleichtern. Und Trump hat in einem offenen Interview gesagt, dass er das könnte, aber das nicht tun wird. Er hat offen einer Anordnung des Verfassungsgerichtshof, des Obersten Gerichtshofs in den USA, widersprochen. Das ist eine offene Verfassungskrise, die nach wie vor schwelt. Aber in der Substanz zu sagen, da gab es ein echtes Problem, die Grenze war zu offen. Wir haben ein Problem mit Fentanyl Schmuggel, wir haben ein Problem mit Bandenkriminalität, gerade in den Innenstädten. Und ich glaube, da haben die Republikaner tatsächlich einen Punkt. Und insofern wird auch zum Teil in der Härte diesen Programmen zugestimmt. Wo man aber eindeutig sieht, wo Trump eben massiv an Zustimmung bei diesen nicht-Kult-Anhängern verliert, ist in allen Fragen der Wirtschaftspolitik. Weil die Leute es langsam aber sicher an ihren Arbeitsplätzen sehen, die verloren gehen, an ihrem Konto sehen, an ihrer Altersvorsorge sehen, etc.
Carsten Roemheld: Paradoxerweise können die Demokraten aber jetzt nicht von diesen geringeren Zustimmungswerten für Trump profitieren. Man hat in einer Umfrage vor kurzem des Nachrichtensendere CNN gesehen, das auch die einen deutlichen Schlag erlitten haben. Die Demokraten kamen auf nur 29 Prozent Zustimmung, den niedrigsten Wert seit Beginn der CNN-Umfrage 1992. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Rüdiger Bachmann: Ja, das liegt einerseits verständlicherweise an der wahrgenommenen Passivität. Es gibt zurzeit keinen wirklichen Oppositionsführer. Anders als in Deutschland sind die Parteien relativ schwache Gebilde in den USA. Das heißt, es gibt nicht einen Parteiführer, einen Oppositionsführer und nur die beiden Minderheitenführer im Parlament, im Senat. Der Chuck Schumer ist alt. Der müsste eigentlich abgelöst werden durch einen jüngeren charismatischen Senator oder einer Senatorin. Und auch Hakeem Jeffries, der Minderheitenführer im Repräsentantenhaus, macht eine eher blasse Figur. Die Frage ist, die ich auch für mich noch nicht so ganz beantwortet habe, ist: Ist das Absicht? So nach dem Motto, solange deine Gegner Fehler machen, lass sie machen. Warum sollen wir jetzt irgendwas tun? Und das mag vielleicht tatsächlich unbefriedigend sein für die äußere Wahrnehmung und auch für die Mobilisierung des zivilen Widerstandes in den USA. Es könnte aber politisch ein Kalkül sein, das aufgeht. Wir haben in einigen westlichen Ländern gesehen, dass wir eben Wahlen gegen die jeweilige Regierung gesehen haben. Und die Demokraten möglicherweise darauf vertrauen. Wie gesagt, dass ist die positivste Interpretation, die ich anbieten kann. Vielleicht ist es auch Unfähigkeit. Aber wenn dahinter insofern ein politisches Kalkül steht, sozusagen: Lass sie mal machen, die reiten sich selber so in den Mist rein, da brauchen wir gar nicht nachhelfen. Und dann? Dann werden die Midterms gewonnen 2026. So lange müssen wir abwarten. Dann können wir eine Agenda durchziehen. Das ist die positivste Interpretation, die ich habe. Ob die stimmt? Wer weiß.
Carsten Roemheld: Wie ist es denn von der Unternehmensseite? Viele Unternehmer im Land sind offensichtlich auch mit der Wirtschaftspolitik unzufrieden. Und die wenigsten haben so einen Zugang zu dem Präsidenten wie Elon Musk oder Mark Zuckerberg, der angeblich sogar nach Washington umziehen soll. Wie blickt denn Corporate America auf die aktuelle Situation?
Rüdiger Bachmann: Da gibt es auch gerade im Mittelstand und bei den kleinen Betrieben so absolute Trump-Kultisten, die– was man auch aus populistisch-faschistischen Regimen kennt – wohl sagen, der macht wenigstens mal. Jetzt müssen wir mal abwarten, was daraus wird. Die zurzeit sagen, das ist so, wenigstens passiert mal was. Es gibt auch in Deutschland immer Leute, die ihr Wahlverhalten für die AfD so rechtfertigen. Die würden wenigstens mal machen, egal was sie machen, aber sie machen mal, das ist so der Stammtisch. Und der ist gerade bei Unternehmern oft weitverbreitet, gerade bei kleineren Eigentümerunternehmern. Was jetzt Corporate America anbetrifft, da muss ich sagen, ist noch nicht klar, wie groß der Einfluss ist. Ich würde sagen, bei den beiden kleinen Rückzieher, die Trump gemacht hat, was die Anleihenmarkt Krise angeht, da glaube ich schon, dass einige der Milliardärsleute, die ihn so umgeben, vor allen Dingen auch um den Finanzminister, schon gesagt haben: Moment, hier kann es jetzt zu einer Katastrophe kommen. Du musst zurückrudern. Da gab es schon vermutlich gewisse Einflüsterungen. Aber Trump ist so volatil. Es ist der Letzte, der mit ihm redet, der den größten Einfluss hat. Auch das ist alles nichts Stabiles, auf was man bauen kann am Ende des Tages. Aber das glaube ich, war mal ein Moment, wo die Finanzindustrie gesagt hat: Das war zu viel. Wir stehen hier gerade vor dem Abgrund.
Carsten Roemheld: Trump hat sich öfter auch inszeniert als der Sprecher für den kleinen Mann, für die Main Street. Wie ist denn die Entwicklung dort bei dem Volk, bei der klassisch amerikanischen Bevölkerung? Die Preise steigen teilweise weiter massiv. Und jetzt droht auch noch, wenn in China die Situation so weitergeht, dass die Regale möglicherweise leer bleiben. Das ist doch sicherlich auch ein Punkt, den die Mainstreet-Bevölkerung sicherlich nicht goutieren kann.
Rüdiger Bachmann: Ja, aber es ist noch nicht physisch da. Noch sind die Regale voll und solange man einen Arbeitsplatz hat, ist auch noch alles in Ordnung. Aber Leute haben ihren Arbeitsplatz schon verloren. Obwohl insgesamt, muss man fairerweise sagen, die letzten Arbeitsmarktstatistiken nicht schlecht waren. Das muss man fairerweise auch dazu sagen. Die waren etwas besser als befürchtet. Tatsächlich muss man abwarten, wie die Entwicklung ist. Es kann sein, dass es unterliegende Grundtendenzen gibt, die den Arbeitsmarkt nach wie vor stark machen. Das heißt nicht, dass der Arbeitsmarkt nicht stärker sein könnte, aber dann spürt man das nicht so. Ja, auch da gibt es die Leute, die sagen: Endlich macht mal einer was und egal was ist, wir müssen abwarten. Und dann gibt es die Leute, die sagen: Die Eierpreise sind immer noch nicht nach unten gegangen, im Gegenteil. Klar, wenn es jetzt hier Supermarktregale gibt, die permanent leer sind oder dauerhaft leer sind, dann kann und wird auch diese Stimmung zumindest bei den nicht ganz so kultigen Anhängern kippen.
Carsten Roemheld: Vielleicht noch eine abschließende, ganz persönliche Frage an Sie. Ihr Eindruck nach 100 Tagen Trump 2.0. Müssen wir uns Ihrer Meinung nach noch mehr Sorgen machen, was die Präsidentschaft von Donald Trump angeht, nach vorne hin? Oder haben Sie den Eindruck, dass der Markt, die Leute um ihn herum, einige der etwas vernünftigen Berater ihn einfangen können und die „Checks and Balances“ am Schluss doch noch funktionieren. Wie ist Ihr abschließender Eindruck?
Rüdiger Bachmann: Ich glaube, Sie machen sich nicht genug Sorgen, gerade in Europa und Deutschland. Weil ich immer wieder noch Rationalisierungsversuche höre, da seien noch smarte Leute um ihn herum. Das muss man sich alles wegdenken. Das war bei Trump eins vielleicht noch der Fall. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Und ja, man kann auf die Märkte hoffen, aber alle diese Säulen, die funktionieren im Gesamtspiel. Und ein solcher Unsicherheitsgenerator wie Trump kann massiv Dinge weiter verschlechtern. Dazu ist er zu mächtig, die Justiz zu langsam, der zivile Widerstand zu anämisch. Man kann darauf hoffen und man kann vielleicht beten und Kerzen anzünden. Aber ansonsten eine Garantie oder auch ein berechtigter Optimismus, dass das alles halten wird, auch dann im Zweifel weitere Versuche, dieses demokratische Gebäude weiter schrottreif zu schießen, was durchaus das Ziel von Leuten wie Vance und Peter Thiel und Elon Musk ist. Ja, da glaube ich, macht man sich noch lange nicht genug Sorgen in Deutschland.
Carsten Roemheld: Vielleicht noch eine abschließende Frage: Trump ist nun nach seiner Amtszeit zumindest als Präsident nicht wieder wählbar, nach aktuellem Stand jedenfalls. Was ist Ihr Eindruck, wie es nach Trump weitergeht? Ist Trump eine einmalige Erscheinung? Oder glauben Sie, dass der Kult, wie Sie es auch gesagt haben, hinter Trump dazu geführt hat, dass das Gedankengut in der Republikanischen Partei weiterlebt und dass dann nach Trump das Ganze nicht aufhört.
Rüdiger Bachmann: Das sind zwei unterschiedliche Fragen. Das Gedankengut wird weiterleben. Das ist jetzt erst mal da. Und das wurde auch in Amerika nicht erfunden, diese rechtspopulistische Ausrichtung. Ich meine, wo hat Trump das her: von Viktor Orban zum Beispiel. Das ist das Drehbuch und erfunden wurde es in der neueren Zeit von Silvio Berlusconi. Dieser Medienstar, damit Medienimperien die Bevölkerung auf so einer rechtspopulistischen Schiene manipulieren können. Wir sehen das bei Erdogan, wir sehen das in Israel, wie gesagt, da gibt es in der westlichen Welt überall Vorbilder. Wir sehen es auch in Deutschland zum Teil, auch wenn die jetzt noch nicht an der Regierung, Gott sei Dank, bis jetzt dran waren. Auch das kann noch kommen. Auch da muss man sich fragen, was ist, wenn Merz mal weg ist und Spahn und Linnemann dann die Führung haben? Wie werden die sich gegenüber der AfD verhalten? Das ist alles auch in Deutschland nicht so sicher. Die Frage ist und das ist eine offene Frage: Ist Trump – und das kann man als rational denkender Mensch irgendwie nur schlecht nachvollziehen, auch als Mensch mit einer gewissen Herzensbildung – auch ein unmöglicher Mensch, wenn man sieht wie er Behinderten umgeht und wie diskriminierend er ist? Aber er hat am Ende dann doch ein gewisses politisches Talent. Er hat einen Sinn für Bilder. Er weiß, wie man Massen manipuliert. Wie gesagt, auch das ein Strukturmerkmal des Faschismus. Um wieder zur Ausgangsfrage zurückzukommen – und das ist die Frage, ob das jemand anders kann. Das sehe ich noch nicht. Ich sehe das zum Beispiel nicht bei J.D. Vance oder bei Marco Rubio. Oder die Leute, die potenzielle Nachfolger sind, oder auch seinen eigenen Kindern. Dieses Talent sehe ich nicht. Das ist eine völlig offene Frage, das wissen wir jetzt noch nicht.
Carsten Roemheld: Alles klar. Herr Professor Bachmann, vielen herzlichen Dank. Sie haben uns ein paar tolle Einblicke gewährt. Ist zwar nicht so arg viel Optimismus dabei herausgekommen in der Hinsicht.
Rüdiger Bachmann: Mein Job ist die realistische Einschätzung.
Carsten Roemheld: Ganz genau. Dafür sind Sie auch bei uns. Vielen herzlichen Dank für dieses sehr spannende Gespräch, Herr Professor Bachmann.
Rüdiger Bachmann: Ich bedanke mich auch.
Carsten Roemheld: Und auch Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlichen Dank für Ihr Interesse. Ich hoffe, Sie konnten heute wieder einige Gedanken mitnehmen und ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns bei der nächsten Ausgabe oder bei einem der vielen anderen Formate bei Fidelity wiedersehen. Herzliche Grüße.
Ihr Carsten Roemheld