Der japanische Aktienmarkt verzeichnet Rekordstände. Die Wirtschaft hingegen schrammt gerade haarscharf an einer Rezession vorbei. In diesem Umfeld hat Japans Notenbank einen historischen Zinsschritt gewagt – und geht damit ein Risiko ein.

Japans Aktienmarkt boomt wie seit über 30 Jahren nicht mehr. Allein im letzten Jahr legte der japanische Aktienindex Nikkei 225 um mehr als 30 Prozent1 zu und hat inzwischen ein Rekordhoch erreicht. Das sind für Investorinnen und Investoren völlig neue Verhältnisse: Lange Zeit galten japanische Aktien als rotes Tuch. In den 1980ern fand die letzte Hausse am japanischen Aktienmarkt ein jähes Ende, von dem sich das Land lange nicht erholte. Anders als damals sind die Bewertungen derzeit bei Weitem nicht so angespannt, die Nachfrage nach günstigen Titeln ist entsprechend hoch. Zudem ist Japan in globalen Fonds im Durchschnitt um rund vier Prozent untergewichtet2. Zuflüsse in Höhe von 40 Milliarden US-Dollar2 im vergangenen Jahr zeigen, dass sich dies bald ändern könnte.

Kurios: Die positive Performance des Aktienmarkts lässt sich mit der Entwicklung der Realwirtschaft kaum erklären. Ende 2023 ist das Land vielmehr haarscharf an einer Rezession vorbeigeschlittert. Erste Berichte verkündeten im Februar 2024, dass das BIP zwei Quartale in Folge geschrumpft sei – man spricht in diesen Fällen von einer technischen Rezession. Kurz darauf wurden die Zahlen nach oben korrigiert. Mit einem Wachstum von 0,1 Prozent3 drehte Japans Wirtschaft gerade noch ins Plus. Dabei verlor das Land seinen Rang als weltweit drittgrößte Volkswirtschaft an Deutschland.

Vor allem der Binnenkonsum schwächelt und schrumpfte im vierten Quartal 2023 im Vorjahresvergleich um 0,3 Prozent3. Für Japans Konjunktur ist dies kein gutes Omen , denn der private Konsum macht rund die Hälfte aller wirtschaftlichen Aktivitäten aus4. Auch die Kapitalausgaben von Unternehmen sind gesunken.

 

Zinswende unter erschwerten Bedingungen?

Die Diskrepanz zwischen der Entwicklung von Aktienmarkt und Realwirtschaft wirft einen Schatten auf den neuen Zinskurs, den die Bank of Japan im März beschlossen hat. Nachdem eine zähe Deflation Japans Wirtschaft jahrzehntelang lähmte, stiegen die Verbraucherpreise zuletzt stärker als erwartet5. Um die Zielinflation von zwei Prozent zu erreichen, hat sich die Bank of Japan für eine straffere Geldpolitik entschieden. Die Währungshüter haben den Leitzins von minus 0,1 Prozent auf die Spanne von null bis plus 0,1 Prozent6 angehoben.

Das Ende der japanischen Negativzinsära hatten viele Ökonominnen und Ökonomen bereits erwartet. Überraschend ist jedoch der Zeitpunkt der Straffung, da sich die Wirtschaft zuletzt an der Schwelle zur Rezession befand. Die Bank of Japan scheint sich der Risiken bewusst zu sein. Notenbankchef Kazuo Ueda wollte sich bisher jedenfalls nicht zu weiteren Zinsschritten äußern. Jedoch hat sich die Bank etwas Spielraum verschafft, indem sie die Käufe von japanischen Staatsanleihen bis Juni unverändert fortsetzt7, um weitere Konjunkturdaten abzuwarten.

Die Entscheidung zur Zinserhöhung wurde maßgeblich von erfolgreichen Lohnverhandlungen8 japanischer Gewerkschaften beeinflusst, die regelmäßig im Frühjahr stattfinden. Viele Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass der schwächelnde Binnenkonsum an Fahrt aufnimmt, sobald die Löhne steigen. Auch japanische CEOs sind laut unserer Analysten-Umfrage mit großem Optimismus ins Jahr 2024 gestartet. Die Unternehmensentscheider, so berichten unsere Analystinnen und Analysten, gehen von steigenden Gewinnen aus und haben für dieses Jahr hohe Investitionsausgaben angekündigt. Weiterhin greifen die von Ex-Premier Abe angestoßenen Reformen zunehmend, und der Shareholder Value wird beispielsweise durch vermehrte Aktienrückkäufe stärker fokussiert.

Fazit

Angesichts der steigenden Inflation hat die Bank of Japan eine Normalisierung ihrer Geldpolitik beschlossen. Die Ära der Negativzinsen ist vorüber. Allerdings erschwert das derzeitige makroökonomische Umfeld das weitere Vorgehen der Notenbank. Während boomende Aktienmärkte eine gesunde Wirtschaft signalisieren, sprechen enttäuschende Wachstumszahlen eine andere Sprache. Diese Divergenz könnte die Währungshüter von allzu drastischen Zinsschritten abhalten. Dennoch erscheint der japanische Aktienmarkt vor dem Hintergrund langjähriger struktureller Verbesserungen weiterhin interessant.

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