Schulden sind per se nichts Schlechtes. Im Gegenteil: Ein gewisser Verschuldungsgrad erweist sich für Unternehmen als vorteilhaft, weil Fremdkapital stets günstiger ist als Eigenkapital, so dass die Gesamtkapitalrentabilität durch höhere Verschuldung steigt. Kreditfinanzierte Investitionen sind also günstiger als solche, für die Unternehmen teures Eigenkapital einsetzen müssen. Von diesem Leverage-Effekt profitieren vor allem die Eigenkapitalgeber.
In Zeiten, in denen Fremdkapital quasi zum Nulltarif zu haben ist, vergrößert sich der Hebel immer mehr – und so waren Unternehmen in den vergangenen Jahren auch kaum bestrebt, ihre Fremdkapitalquoten zu reduzieren. Im Gegenteil: Die Verbindlichkeiten stiegen über die Jahre. Da auch die Gewinne regelmäßig nachzogen, fanden die Unternehmen, ihre Investoren und Gläubiger gleichermaßen Gefallen daran: eine Win-Win-Win-Situation.
Doch jetzt mehren sich die Zeichen für eine Trendwende. Ein Indiz dafür lieferte im Frühjahr unsere diesjährige Analystenumfrage. Danach planen offenbar viele Unternehmen, ihre Verschuldung in den kommenden Monaten abzubauen.
Woran kann das liegen? Nun: Hohe Schulden machen Unternehmen krisenanfällig – denn Fremdkapital ist nicht sonderlich geduldig. Eine hohe Eigenkapitalquote, gestützt von langfristig orientierten Investoren, erhöht dagegen die Resilienz. Wenn die Gewinne nicht mehr steigen, kann der Leverage-Effekt seine ganze Kraft in die Gegenrichtung entfalten. Unternehmen müssen ihre Verbindlichkeiten auch in der Krise weiter bedienen. Die Bonität verschlechtert sich. Anleihekäufer werden nervös, wollen womöglich verkaufen.
Sehen dann auch Aktionäre, dass die Gewinnerwartungen nicht mehr zu halten sind, stoßen sie ebenfalls ihre Papiere ab. Dann fehlt nach dem Fremd- auch frisches Eigenkapital. Die Lage spitzt sich zu. Da ist die Einsicht der Unternehmen, dass man seine Schulden auch wieder abbauen sollte, eine gute Nachricht.
Die Schere öffnet sich
Nur: Ist dieses Entschuldungsszenario auch wahrscheinlich – und für die Unternehmen momentan überhaupt machbar? Bisher sind den Worten hierzulande, wenig überraschend, noch keine Taten gefolgt: In der Coronakrise war die Schuldenlast deutscher Unternehmen im Gegenteil deutlich gestiegen, zeigen Daten der Bank for International Settlements1. Im dritten Quartal 2020 machten die Verbindlichkeiten der hiesigen Unternehmen 64 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Gemessen am Vorjahreszeitraum stieg der Wert um 4,5 Prozent an. Die Zahlen dürften seit dem Herbst 2020 im Zuge der erneuten Lockdowns weiter geklettert sein. Und währenddessen meldeten viele Unternehmen sinkende Gewinne und Eigenkapitalquoten.
Mit anderen Worten: Die Schere zwischen steigenden Verbindlichkeiten und sinkenden Ergebnissen öffnet sich. Das könnte in den kommenden Monaten gefährlich werden, zu Insolvenzen und Sanierungsfällen führen – und Aktionären wie Gläubigern die Risiken gehebelter Investments vor Augen führen.
Am Ende könnte die Coronakrise aber auch zu einer fundamentalen Neubewertung führen bei der Frage danach, wie hoch Unternehmen ihre Schuldenquote treiben können, ohne ihre Resilienz zu verlieren. In manchen Führungsetagen scheint diese Debatte nun angekommen zu sein.
Quellen:
1https://de.statista.com/infografik/23993/unternehmensschulden-nach-laendern/
Das könnte Sie auch interessieren
US-Wahlen: Politische Börsen haben oft kurze Beine
Viele Investorinnen und Investoren versuchen, ihre Portfolios auf den politis…
Volatilität: Gekommen, um zu bleiben?
Lange Zeit war es erstaunlich ruhig am US-Aktienmarkt, nun spricht einiges fü…
Alles nach Fed-Plan? Warum die US-Notenbank bereit für die Zinswend…
Schwächere Arbeitsmarktdaten schürten in den USA zuletzt neue Rezessionsängst…