Indiens Aktienmarkt gehört inzwischen zu den teuersten der Welt. Die Markterwartungen sind damit aktuell optimistischer als die Wachstumsaussichten. Kippt die Stimmung, könnte es an Indiens Börsen holprig werden.

Indien ist das neue China – so lautet ein mittlerweile weit verbreiteter Ausspruch über die jüngsten wirtschaftlichen Entwicklungen in Asien. Galt China lange als wichtigster Motor der Weltwirtschaft, befindet sich inzwischen nur noch die Wirtschaft Indiens auf einem ungebrochenen Wachstumskurs. China dagegen erreichte 2023 zwar erneut das anvisierte Wachstumsziel von rund fünf Prozent, entwickelt sich nun jedoch langsamer als erwartet. Laut IWF-Prognose¹ soll die indische Wirtschaft 2024 erneut um 6,5 Prozent expandieren.

Auch Investorinnen und Investoren kehren China vermehrt den Rücken zu und hoffen, in Indien die nächste große Wachstumsstory gefunden zu haben. Der Subkontinent profitiert unter anderem von den umfassenden Modernisierungsmaßnahmen des reformfreudigen Premierministers Narendra Modi, der massiv in die heimische Infrastruktur investiert und den Binnenmarkt durch Steuererleichterungen stärkt. 

Seit Januar 2024 gilt Indien zudem als viertgrößter Aktienmarkt der Welt. Mit einem Gesamtaktienwert von umgerechnet 4,3 Billionen US-Dollar² haben die indischen Börsen Hongkong in der globalen Rangliste überholt. Beeindruckend ist die Performance des führenden indischen Aktienindex Nifty 50, der die Entwicklung der 50 größten Unternehmen des Landes abbildet - er legte in den vergangenen zehn Monaten um ein Drittel² zu. Allein im vergangenen Jahr flossen 20 Milliarden US-Dollar an ausländischem Kapital ins Land.

Massiver Performancedruck

Aufgrund der positiven Aussichten ziehen Indiens Märkte mittlerweile ein breites Spektrum von Investorinnen und Investoren an. An indischen Börsen mischen nicht nur institutionelle, sondern zunehmend auch private Anlegerinnen und Anleger mit. Und diese sind offenbar bereit, für ihre Wachstumserwartungen eine Prämie zu zahlen. Denn gemessen an den Unternehmungsbewertungen zählt der indische Aktienmarkt mittlerweile nicht nur zu den größten, sondern auch zu den teuersten Kapitalmärkten der Welt.

Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des Nifty 50 liegt aktuell bei 22,8³. Damit werden indische Aktien also nahezu zum 23-Fachen ihres Jahresgewinns gehandelt – das ist dreimal so viel wie in China und übertrifft sogar die Bewertungen im US-amerikanischen S&P 500. Das hohe KGV spiegelt die riesigen Erwartungen auf Anlegerseite wider; zugleich stehen indische Unternehmen damit unter immensem Performancedruck: Sie müssen eine Entwicklung demonstrieren, die das Wachstumsversprechen aufrechterhält und den Optimismus der Märkte bestärkt. 

Laut der Analyse indischer Aktien-Broker könnten in den nächsten sechs bis neun Monaten größere Korrekturen an Indiens Börsen bevorstehen. Das wäre der Fall, wenn sich die Märkte stärker an Fundamentaldaten und finanziellen Kennzahlen orientieren. In einem solchen Umfeld würden die Renditeaussichten vermutlich bescheidener ausfallen als beim Blick auf unsichere künftige Erträge. Das passiert in der Regel jedoch nicht ohne einen anderen Auslöser.

Fazit

Viele Anlegerinnen und Anleger wenden sich derzeit von China ab, um Teil von Indiens Wachstumsstory zu werden. Dafür müssen sie tief in die Tasche greifen und einen langen Atem haben. Aktuell lassen sich die hohen Aktienbewertungen und Renditeerwartungen noch nicht durch finanzielle Kennzahlen indischer Unternehmen rechtfertigen. Die Performance des indischen Aktienmarkts könnte in diesem Jahr stark von einem Wechselspiel zwischen Marktstimmung und Lage der Fundamentaldaten abhängen.

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