Arbeit trägt tendenziell immer weniger zum Haushaltseinkommen bei, Kapitaleinkünfte werden wichtiger. Wird das zur neuen sozialen Frage?

Wer mit Arbeit reich werden will, tut gut daran, auch sein Geld für sich arbeiten zu lassen – also einen Teil seines Gehalts für den Aufbau von Kapital zu verwenden. So entsteht im besten Fall auf Dauer eine zweite Einkommensquelle. In den vergangenen 30 Jahren hat die volkswirtschaftliche Bedeutung der Kapitaleinkünfte im Vergleich zu den Arbeitseinkünften zugenommen. Ein Blick in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zeigt: Der Anteil des Kapitaleinkommens an der Gesamtwertschöpfung stieg zwischen 1991 und 2016 von rund 30 auf 35 Prozent1, während der Anteil des Arbeitseinkommens von rund 70 auf 65 Prozent schrumpfte. Zwischen 2003 und 2007 wuchsen die Gewinneinkommen dann fast zehnmal so stark2 wie die Löhne und Gehälter. Erst die Finanzkrise und anschließend die Pandemie bremsten diese Entwicklung. Der Trend zu weniger Wertschöpfung aus Arbeit und mehr aus Kapital dürfte sich aber langfristig weiter fortsetzen.

Eine maßgebliche Rolle wird dabei der zunehmende Einsatz von künstlicher Intelligenz spielen. Denn wenn die Technologie menschliche Arbeit ersetzt oder auch nur ergänzt, verschiebt sich das Gewicht weiter in Richtung Kapitaleinsatz. Über die Auswirkungen dieser Entwicklung habe ich im Fidelity Kapitalmarkt Podcast mit der renommierten Arbeitsmarktforscherin Melanie Arntz gesprochen. Wenn unser Wohlstand immer weniger von dem abhängt, was wir mit unserer Arbeitskraft erwirtschaften und immer mehr von der Rendite auf den Kapitaleinsatz durch Investitionen in moderne Technik, dann brauchen wir dafür einen neuen Ausgleich, sagt Arntz. Ihr Credo: Wir sollten die Beschäftigten stärker an den Kapitalerträgen – also an den Gewinnen der Unternehmen – beteiligen. Ein Weg dazu könnte beispielsweise sein, die Aktienkultur im Land weiter zu beleben. Doch das ist leichter gesagt als getan. Bisherige Versuche, Deutschland zu einem Land der Aktionär:innen zu machen, waren jedenfalls nicht sonderlich erfolgreich.

Auch in Haushalten arbeitet Kapital

Warum aber braucht es überhaupt einen gesellschaftlichen Ausgleich, wenn Kapitaleinkünfte schneller wachsen als Löhne? Um das zu verstehen, hilft ein Blick auf die aktuelle Einkommensverteilung: Zunächst zeigen die Daten3 des Statistischen Bundesamtes, dass das Arbeitseinkommen nach wie vor die wichtigste Einkommensquelle ist. Allerdings stiegen die durchschnittlichen Arbeitseinkünfte nach Auswertungen des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln4 zwischen den Jahren 1991 und 2018 unter Berücksichtigung der Inflation real nur um 9,5 Prozent. Im gleichen Zeitraum wuchsen die Kapitaleinkommen aus Vermietung, Verpachtung sowie Zinsen und Dividenden um 82 Prozent.

Eine soziale Schieflage entsteht nun dadurch, dass längst nicht alle Privathaushalte von Kapitaleinkünften profitieren. Immerhin 74 Prozent der Haushalte erzielen Zinsen oder Dividenden – der Anteil ist in den vergangenen Jahren allerdings zurückgegangen. Und lediglich 13 Prozent aller Haushalte generieren Mieteinnahmen, also Kapitaleinkünfte aus Immobilienvermögen. Der Aufschwung am Kapital- und Immobilienmarkt geht also an großen Teilen der Bevölkerung vorbei – und die Einkommensschere damit auf Dauer auseinander. 

Fazit

Das Arbeitseinkommen ist und bleibt das Fundament zum Aufbau von Kapital. Dieses durch eigene Arbeit erworbene Kapital sollte aber auch investiert werden, um zusätzliche Einkommensquellen zu erschließen. Derzeit profitiert eben nur ein Teil der Haushalte von Einkünften aus Zinsen, Mieteinnahmen oder Dividenden, also Unternehmensgewinnen. Bei denen, die dabei sind, wächst der Anteil der Kapitaleinkünfte am Gesamteinkommen immer stärker. Es wird Zeit, dass sich die Gesellschaft dieser neuen sozialen Frage widmet.

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