Carsten Roemheld: Er ist das Rückgrat des Welthandels und ein sicherer Hafen in Krisenzeiten: der US-Dollar. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und mit Einführung des berühmten Bretton-Woods-Systems wurde der Dollar zur unangefochtenen Anker- und Leitwährung. Und das ist er noch heute. Fast die Hälfte, rund 47 Prozent, des gesamten internationalen Zahlungsverkehrs werden derzeit in US-Dollar abgewickelt, 58 Prozent der globalen Währungsreserven in US-Dollar gehalten.
Anders gesagt: Eine Welt ohne Dollar kann man sich in der Wirtschaft und auf den Finanzmärkten eigentlich nicht vorstellen. Nun allerdings, so sagen einige Beobachter, setzt Donald Trump mit seinem politischen Kurs diese weltweite Vormachtstellung aufs Spiel. Denn das Hin und Her in der Zollpolitik und Pläne, den Dollar gezielt zu schwächen, lassen das Vertrauen in den amerikanischen Finanzmarkt bröckeln, in die Anleihen und in die Währung.
In dieser Podcast-Folge tauchen wir tiefer in das Thema ein, das neuerdings unter dem Begriff Entdollarisierung immer häufiger in Berichten auftaucht. Über das mögliche Ende der weltweiten Dollar-Dominanz spreche ich mit Jörg Bibow. Er ist Professor für Wirtschaftswissenschaften am Skidmore College in New York, hat in Cambridge promoviert und war beratend für die Vereinten Nationen tätig. Er beschäftigt sich mit Zentralbankwesen und Finanzsystemen, internationalen Finanzen, Handel und Entwicklung. Aktuell ist er als Fellow am Hamburg Institute for Advanced Study (HIAS) aktiv. Dort erforscht er den Wandel im globalen Geld- und Zahlungssystem.
Heute ist der 5. Juni 2025. Mein Name ist Carsten Roemheld. Ich bin Kapitalmarktstratege bei Fidelity und Sie hören den Fidelity Kapitalmarkt-Podcast. Ich freue mich sehr auf die Diskussion und spannende Erkenntnisse in den kommenden 45 Minuten mit Jörg Bibow. Herzlich willkommen in unserem Podcast.
Jörg Bibow: Guten Tag, Herr Roemheld. Vielen Dank für die Einladung.
Carsten Roemheld: Sehr gerne. Gerade in diesen Zeiten sind Experten wie Sie sehr gefragt. Als Donald Trump am „Liberation Day“ im April seine Zollpläne verkündet hat, sind ja die Finanzmärkte in gewisser Weise Achterbahn gefahren. Die Unsicherheit ist nach wie vor groß, auch darüber, wie der Status des Dollars als Leitwährung von der aktuellen amerikanischen Politik beeinflusst wird. Bevor wir aber tiefer in diese Diskussion einsteigen, sollten wir vorab eins klären: Ab wann kann man denn von einer Entdollarisierung sprechen, also von einer Abkehr vom Dollar als Leitwährung? Wie ist da Ihre Einschätzung?
Jörg Bibow: Dieser Prozess findet schleichend statt und auch schon seit geraumer Zeit. Aber von einer wirklichen Abkehr vom Dollar, davon sind wir, glaube ich, noch weit entfernt. Die aktuelle Politik fügt, soweit ich sehen kann, dem Dollar und den USA großen Schaden zu. Das untergräbt das Vertrauen in die Währung und in Amerika als Partner und Führer. Und das hat sicher den Effekt, diese schleichende Entdollarisierung anzutreiben. Aber wie gesagt, eine wirkliche Abkehr vom Dollar ist zurzeit meines Erachtens gar nicht möglich.
Carsten Roemheld: Dazu ist der Dollar wahrscheinlich noch zu wichtig. Jetzt gibt es ja diese Pläne, von denen man erfahren hat, den sogenannten „Mar-a-Lago-Accord“, von Trumps Chefökonom Stephen Miran. Der Plan sieht unter anderem vor, den Dollar zu schwächen. Er sieht vor allen Dingen vor, dass ausländische Gläubiger ihre Staatsanleihen umwandeln sollen in Anleihen mit 100 Jahren Laufzeit und so gut wie keiner Verzinsung. Das könnte das Vertrauen in die USA als Finanzmarkt und auch in den Dollar als sicherer Hafen erschüttern. Außerdem verkauft China seit Jahren schrittweise US-Schuldtitel und stockt stattdessen die Goldreserven auf. Das sind ja schon Anzeichen dafür, dass hier eine Abkehr vom Dollar stattfindet. Mich würde Ihre Meinung zu diesem Mar-a-Lago Accord interessieren. Für wie realistisch halten Sie diesen Plan?
Jörg Bibow: Für sehr unrealistisch. Um es kurz zu sagen: Wenn man sich das Papier anschaut, dann sind da verschiedene Themen behandelt. Die ersten Kapitel betreffen mehr den internationalen Handel und den Einsatz von Zöllen. Und dieser ganze Abschnitt basiert eigentlich auf der – sollen wir sagen: Hoffnung, dass der Dollar aufwerten würde. Liest man sich dann die späteren Gedanken durch, die sich darum drehen, den Dollar abzuwerten, dann geht es da genau um das Gegenteil. Und daran erkennt man eigentlich schon die Widersprüchlichkeit in der aktuellen amerikanischen Politik. Es ist nur eines von vielen Beispielen. Man will einerseits einen starken Dollar, der möglichst aufwertet, um den Preis-Effekt der Zölle zu kompensieren. Andererseits will man einen schwächeren Dollar, um auf dem Wege die Wirtschaft konkurrenzfähiger zu machen. Und dann damit verbunden noch diese Überlegung, dass man auch an den Zinszahlungen etwas drücken könnte. Aber das liefe tatsächlich auf einen Bankrott hinaus. Und ja: Das kann man ja mal versuchen, den globalen Finanzmarktakteuren zu verklickern, was da angedacht wird. Und man darf dann hoffen, dass das nicht zu einer Panikreaktionen führt.
Carsten Roemheld: Das dürfte sehr schwierig sein vor dem Hintergrund dieses Plans. Eines interessiert mich noch in diesem Zusammenhang: die Frage nach starkem oder schwachem Dollar. Über einen schwachen Dollar wäre es auf jeden Fall leichter, deutlich leichter, das Außenhandelsdefizit zurückzuführen. Das würde ja automatisch schon damit einhergehen. Und es würde auch den Bedarf von Ausländern, Dollar zu halten, schrittweise zurückfahren, so dass weniger Güter und auch weniger Finanztransaktionen fließen. Also wäre doch eigentlich, wenn man denn die Rückführung des Außenhandelsdefizit als eines der wichtigsten Ziele der Regierung betrachtet, ein schwacher Dollar das Medium, um das auch zu erreichen, oder?
Jörg Bibow: Wenn man Amerikas Wirtschaft konkurrenzfähiger machen will und das über den Preis erzielen will, dann wäre die Abwertung angezeigt. Und das haben wir ja auch durchaus gesehen. Seit Anfang des Jahres hat der Dollar spürbar abgewertet, das ist richtig. Nur verstärkt das den Effekt der Zölle. Zölle erhöhen ja die Preise, und wenn gleichzeitig der Dollar abwertet, dann würde das diesen Preisdruck noch verstärken. Und das hat dann wiederum zur Folge, dass die Federal Reserve wahrscheinlich so bald nicht die Zinsen wird senken können.
Carsten Roemheld: Im Gegenteil: Wenn der Dollar so stark wäre und die Zinsunterschiede so groß, dann würde das den Dollar wahrscheinlich eher noch weiter unterstützen im internationalen Kontext. Eine sehr spannende Frage, die wir wahrscheinlich heute nicht abschließend beantworten werden. Deswegen, um weiterzugehen: Es gab ja diesen Punkt, an dem die Amerikaner die Währungsreserven der Russen eingefroren haben und die Sanktionen auch russische Banken umfasst haben, nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine. Viele russische Banken – oder eigentlich alle – sind vom SWIFT-System abgeschnitten worden. Man hat versucht, über diese Sanktionen Russland in Bedrängnis zu bringen. Die verbliebenen Finanzströme nach Russland für Öl- und Gasexporte sind nicht versiegt, aber sie haben in anderen Währungen stattgefunden. Frühere Sanktionen und geopolitische Spannungen haben dazu geführt, dass jetzt auch Staaten wie Russland – oder andere Staaten, die von diesen Sanktionen natürlich sehr beeinträchtigt waren – jetzt nach Alternativen zum Dollar suchen. Kann man sagen, dass mit dieser wirklich harten Sanktion das Vertrauen noch mal gesunken ist für ausländische Institutionen und Regierungen?
Jörg Bibow: Ja, das ist sicher so. Man spricht auch von der „Weaponization“ des Dollars. Diese hat sicher den Effekt, dass Staaten darüber nachdenken, wie sicher ihre Dollaranlagen sind. Alle Staaten halten Dollar, weil sie glauben, sie können zu jeder Zeit und in jeder Krise darauf ungehindert zugreifen. Und die Sanktionen gegen Russland sind nicht das erste Mal, dass solche Sanktionen eingesetzt werden. Aber Russland ist natürlich ein sehr prominenter Fall. Und natürlich regt das andere Staaten an, darüber nachzudenken, wie sicher Dollaranlagen wirklich sind, wenn, wie das Beispiel zeigt, Amerika sie jederzeit einfrieren kann. Oder auch Europa. Es ist ja nicht nur Amerika, sondern auch ganz stark Europa involviert in dieser Entscheidung und Maßnahme. Denn viele der russischen Reserven sind sozusagen nach Europa ausgelagert. Man sieht das auch an der Nachfrage nach Gold. Es gab etwa den Versuch der BRICS-Staaten, eine Alternative zu schaffen. Aber da muss man sich natürlich fragen: Inwieweit kann Indien denn China trauen? Oder inwieweit kann China Indien trauen? Inwieweit kann irgendjemand Russland trauen? Also: Wenn man eine Alternative zum Dollar schaffen will, dann setzt das voraus, dass die Partner hinreichend viel Vertrauen ineinander haben. Und da sehe ich ja schon mal gleich ein gewisses Problem.
Carsten Roemheld: Nun wird aber auch das Vertrauen in die USA angekratzt durch die jüngsten Entwicklungen. Und die Frage steht im Raum, ob die USA überhaupt noch die Leitwährung, die Welt-Reservewährung stellen möchten. Man hat ja den Eindruck, dass über die Zollpolitik eine gewisse Abkehr stattfindet von der Globalisierung, eine Abkehr von der internationalen Handelspolitik, die den USA viel Dollarnachfrage gebracht hat und wahrscheinlich auch niedrige Zinsen – und all die Dinge, die man als positiv für Kapitalmärkte und Investoren bezeichnen kann. Wenn jetzt über Zölle eine gewisse Abkehr oder Isolierung stattfindet, könnte man ja auch schlussfolgern, dass die Amerikaner gar kein Interesse mehr daran haben, die Welt-Leitwährung zu stellen mit all den Pflichten, die damit ja auch verbunden sind. Würden Sie das so unterschreiben?
Jörg Bibow: Da sind wir wieder bei dem Widerspruch, den wir eingangs schon mal erwähnt haben. Einerseits empfindet man die globale Rolle des Dollars als Bürde, als Last. Andererseits hat Donald Trump aber mehrfach betont, dass er Länder bestrafen will, die versuchen, sich vom Dollar in irgendeiner Form abzukoppeln. Man will also beides, einen schwachen Dollar und gleichzeitig einen starken Dollar. Man will, so scheint es, die Rolle als Weltwährung nicht mehr innehaben. Andererseits betont man, dass man sie unbedingt haben will. Es ist einfach widersprüchlich.
Carsten Roemheld: Sie bestätigen genau die Thesen, die wir in der Vergangenheit öfter mal formuliert haben: Dass diese Strategien alle nicht wirklich einheitlich erscheinen, dass sie teilweise Widersprüche beinhalten, dass Ziele formuliert werden, die unmöglich mit dieser Art von Politik erreicht werden können und andere Dinge. Es scheint so, dass da nicht alles konsistent ist und vielleicht ein bisschen mit Trial-and-Error-Methoden vorgegangen wird. Das ist natürlich ein hoher Preis, den man dafür bezahlt, aber es scheint tatsächlich so zu sein. Nun war aber auch der Dollar nicht immer die Leitwährung der Welt. Bevor der Dollar nach dem Zweiten Weltkrieg diese Stellung erreicht hat, war das britische Pfund das dominante Zahlungsmittel weltweit. Eine Vormachtstellung ist also nicht in Stein gemeißelt, es kann schon im Bereich von Dekaden Veränderungen geben. Wenn man den Blick weit hinauswagt, über die nächsten 20 oder 30 Jahre: Sehen Sie da die Dominanz des Dollars tatsächlich so schwinden, dass er von anderen Währungen oder digitalen Alternativen abgelöst werden könnte?
Jörg Bibow: In der wirtschaftlichen Entwicklung ist eigentlich nur eines sicher: dass es weiterhin Wandel und Evolution geben wird. Sie erwähnten das britische Pfund, das seit 1844 bis zum Ersten Weltkrieg die dominante Rolle in der Welt innehatte. Das basierte damals auf der wirtschaftlichen und technologischen Stärke, auf der Stärke des Finanzplatzes London in der Welt. Die Position war im Grunde nach dem Ersten Weltkrieg verloren. Wie alle europäischen Staaten ging auch Großbritannien stark geschwächt aus dem Ersten Weltkrieg hervor. Amerika hatte stark aufgeholt, war die erste Industrienation der Welt, war technologisch führend geworden, hatte nicht unter dem Krieg leiden müssen. Keynes beschreibt in seinem „A Tract on Monetary Reform“ im Grunde schon, dass Amerika die Rolle als führende Macht übernehmen würde. Hat es dann aber nicht, sondern man hat noch bis zum Zweiten Weltkrieg gewartet. Im Grunde war man noch nicht bereit.
Aber schauen Sie sich mal die Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg an: Das hat sich alles gewandelt. Wir fingen mit festen Wechselkursen an, dann kamen flexible Wechselkurse. Wir hatten zunächst einmal recht strikte Kontrollen des Kapitalverkehrs, dann in den 1980er und 1990er Jahren die Liberalisierung. Die Euro-Dollar-Märkte, die Swap Lines der Federal Reserve. Das System hat sich in dieser ganzen Zeit sehr stark gewandelt. Sie können davon ausgehen, dass sich das System weiter wandeln wird. Die Faktoren, die wir gerade besprochen haben, nagen am Status des Dollars. Das ist aber ein schleichender Prozess.
Ich denke, in zehn Jahren wird der Dollar immer noch die dominante Währung sein, vielleicht etwas weniger dominant, aber er wird immer noch die dominante Währung sein. Wenn wir weiter in die Zukunft schauen, 50 Jahre, 100 Jahre, da steht es in den Sternen. Wie wird die wirtschaftliche Entwicklung sein? Wie werden die Technologien sein, die verschiedene Länder voranbringen? Wie werden sich die Finanzmärkte entwickeln? Das können wir nicht wissen. Wenn man sich die Geschichte anschaut, wäre es ungewöhnlich, wenn der Dollar in 100 Jahren immer noch die dominante Währung wäre.
Carsten Roemheld: Was würde das bedeuten? Jetzt sagen wir mal, die Dominanz des Dollars endet irgendwann im Verlauf der nächsten Dekaden. Welche Konsequenzen hätte das für die wirtschaftlichen Grundlagen, sowohl für die USA, die dann ja sicherlich auch an den Finanzmärkten die Dominanz verlieren würden, als auch für Europa und die Schwellenländer? Für die würde es ja wahrscheinlich eher Chancen beinhalten?
Jörg Bibow: So wird das aus US-Sicht zurzeit nicht gesehen. Dort wird es so empfunden: Amerika trägt die ganze Last und alle anderen schnorren sich durch und haben nur Vorteile. Nein, die haben natürlich nicht nur Vorteile, man spricht ja nicht ohne Grund vom „exorbitant privilege of the dollar“. Das meint die Vorteile des Landes, das die Leitwährung emittiert. Für die anderen Länder – für die Peripherie, wenn Sie so wollen – bedeutet das: Sie haben halt weniger makroökonomische Spielräume. Man sieht das ganz deutlich in Krisen: Amerika kann alles tun, kann Zinsen senken und eine expansive Fiskalpolitik fahren. Das kann kaum ein Entwicklungsland tun. Wenn das in der Krise steckt, dann muss es beim IWF anrufen und um Hilfe betteln. Diese Hierarchie im System ist krass. Und das sind die Vorteile Amerikas, die man anscheinend heute nicht mehr so sieht. Man sieht nur die Nachteile.
Wenn dieser schleichende Prozess anhält, werden die Vorteile Amerikas sinken, in dem Sinne, dass die Zinsen relativ ansteigen, man weniger makroökonomische Spielräume hat. Wie sich das genau auf die anderen Länder auswirkt? Nun, das hängt natürlich davon ab, welche Art von Konstellation wir haben werden. Wird ein anderes Land eine dominante Stellung haben? Werden verschiedene Länder etwa gleich stark sein? Kommt es zu einer gewissen Art von Fragmentierung im Welthandel oder im Finanzwesen? Das sind alles Dinge, die wir nicht wissen können. Und zurzeit herrscht auch so viel Unsicherheit, dass man Schwierigkeiten hat, überhaupt abzuschätzen, wie das in den nächsten Jahren weitergehen wird.
Carsten Roemheld: Da haben Sie natürlich völlig recht. Der Begriff Fragmentierung umschreibt, glaube ich, ganz gut, was momentan stattfindet. Lassen Sie uns den Gedanken der Alternativen zum Dollar ein bisschen weiterspinnen: Wie könnte sich denn der Euro in diesem Kontext entwickeln? Im Moment, also wenn man die SWIFT-Nutzung betrachtet, ist der Euro die zweitwichtigste Währung. 23 Prozent der Geschäfte im internationalen Zahlungsverkehr werden in Euro abgewickelt, 47 Prozent im Dollar. Bei den Währungsreserven ist die Bilanz ähnlich. Was braucht es, um eine Leitwährung zu werden? Müssen sich die Verhältnisse dann genau rumdrehen? Und ist der Euro aus Ihrer Sicht eine realistische Alternative zum Dollar?
Jörg Bibow: Ist er nicht. Ich meine, diese Frage hat sich im Grunde seit den 1990er Jahren immer wieder gestellt. Immer wieder gab es Stimmen, die meinten, der Euro würde dem Dollar den Rang ablaufen. Das war immer unrealistisch und ist auch heute noch unrealistisch. Zum einen ist da die Frage: Besteht überhaupt der politische Wille? Mindestens genauso wichtig ist die institutionelle Frage: Wäre das Euro-Währungsgebiet institutionell und wirtschaftlich in der Lage, diese Rolle zu übernehmen? Und das muss man von vornherein sagen, dass das nicht der Fall ist. Ich meine, wir reden vom einheitlichen Markt seit vielen Jahrzehnten. Aber wenn man sich das Finanzsystem anschaut, dann ist das halt immer noch keine Einheit. Im Finanzsystem in Europa gibt es deutliche nationale Grenzen. Ja, wir haben verschiedene Projekte gesehen: Bankenunion, Kapitalmarktunion, jetzt haben wir die Savings-and-Investments-Union. Also einerseits wird das Problem schon erkannt, dass man nicht wie Amerika einen großen integrierten Finanzmarkt hat. Aber bis heute konnte man die Situation nicht wirklich beheben. Und das ist ein ganz starkes Defizit.
Damit eng verbunden ist die Frage der öffentlichen Schulden, also in den USA die Federal Government Debt Treasury Securities, die heute wichtigste sichere Anlage der Welt. Bei allen Zweifeln, die wir im Moment daran haben: Etwas Äquivalentes gibt es in Europa nicht. Wir haben zwar Next Generation European Green Bonds, es gibt also gemeinsame Bonds in einem gewissen Umfang, wir haben auch die Europäische Investitionsbank. Aber: Es gibt keine öffentlichen Schuldtitel der EU. Das wäre der Game Changer, wenn es die gäbe, das wäre ein ganz wichtiger Faktor, Basis, Grundlage und Rückgrat der gemeinsamen Währung. Also eine Fiskalunion, die ja immer wieder von vielen Ländern blockiert wird. Das wäre eine wichtige Grundlage dafür, um einen gemeinsamen Finanzmarkt zu schaffen, der der Situation in Amerika ähnlich käme. Dann hätte man die institutionellen Voraussetzungen dafür. Die sind heute aber überhaupt nicht gegeben. Und es ist auch nicht absehbar, dass sie gegeben sein werden in zwei oder drei oder fünf Jahren, weil der politische Wille dafür fehlt, eine Fiskalunion zu schaffen. Historisch war die Bundesbank immer gegen die Nutzung der D-Mark als internationale Währung, weil das zur Belastung der deutschen Exportindustrie geworden wäre, die in Deutschland politisch immer sehr einflussreich war. Das ist im Grunde das Thema, das wir auch in Amerika sehen. Man möchte einerseits den Vorteil, Leitwährung zu sein. Aber andererseits hat dieser Faktor aber Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit, trifft insbesondere die exportabhängigen Industrien. Da sieht man dann die Kosten.
Carsten Roemheld: Wenn ich Sie richtig verstehe, wären Vereinigte Staaten von Europa die Grundlage dafür, dass man das hinbekommen könnte. Wenn die Institutionen passen würden, wenn es eine länderübergreifende Fiskalpolitik gäbe und ähnliche Dinge. Eine übergreifende Geldpolitik gibt es ja schon, aber trotzdem große Zinsunterschiede. Bloß wird die Idee Vereinigter Staaten von Europa von vielen kritisch gesehen, da hakt es wahrscheinlich. Wie sehen Sie denn die Rolle Chinas mit dem Renminbi, der ja auch Ambitionen hat, Weltleitwährung werden zu wollen?
Jörg Bibow: Vielleicht noch ergänzend zu Europa: Wenn man quasi in die Fußstapfen des Dollars treten möchte und dazu fähig sein will, dann stellten sich ja noch ganz andere Fragen. Der Euro ist die zweitwichtigste Reservewährung der Welt. Der Euro ist aber kaum wichtiger als die D-Mark. Der Euro ist regional relevant in der europäischen Zeitzone. Aber er ist international nicht vergleichbar mit dem Dollar. Und das könnte sich meines Erachtens nur ändern, wenn man wirklich den Schritt zur Fiskalunion und politischen Union gehen würde und damit ein ähnliches Finanzsystem schaffen. Das scheint mir nicht in den nächsten Jahren zu passieren.
Zu China: Ich denke, das ist eine ganz andere Situation. Dort ist es eher die Frage: Will man das überhaupt, politisch? Wir sprechen natürlich über ein anderes politisches System, das kontrolliert wird von der Kommunistischen Partei. Die Kontrolle über das Finanzsystem ist ein sehr kritischer Faktor, wenn der Staat die Wirtschaft kontrollieren will. Und China hat bis heute zum Beispiel den Einfluss ausländischer Konkurrenz, den Einfluss internationaler Kapitalströme und so weiter sehr stark kontrolliert. Aus dem einfachen Grunde, dass man die eigene Wirtschaft nicht wehrlos internationalen Einflüssen ausgesetzt sehen will. Man will Macht und Kontrolle über die Wirtschaft haben. Wenn Sie also jetzt sagen, der Renminbi soll die Rolle des Dollar übernehmen, dann stellt sich die Frage: Ist das wirklich, was die Kommunistische Partei Chinas will? Ich denke nicht. Die fahren eine andere Strategie. Sie versuchen, über bilaterale Beziehungen zu anderen Ländern den Einfluss auszubauen. Besonders zu Entwicklungsländern, wo aufgrund von Rohstoffvorkommen Interessen bestehen. Das wird aber alles im begrenzten Rahmen bleiben. Das ist eine völlig andere Kategorie.
Die Rolle des Dollars liegt insbesondere im Finanzsystem. Wenn Sie sich zum Beispiel den Umsatz der Währungsmärkte anschauen: Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich macht dazu Umfragen alle drei Jahre. Wir sprechen über gigantische Summen, die täglich umgesetzt werden. Davon betrifft nur ein kleiner Bruchteil den internationalen Handel. Es ist im Grunde die Finanzwelt, die alles bestimmt. Und da wird China, denke ich, weiter sehr vorsichtig bleiben, sich dem Einfluss der Wall Street und anderer Finanzplätze wehrlos auszusetzen.
Carsten Roemheld: Und was halten Sie von der Initiative der BRICS-Staaten, die ja auch ein gemeinsames unabhängiges Zahlungssystem entwickeln wollen, um den Mitgliedstaaten grenzüberschreitende Zahlungen ermöglichen zu können? Halten Sie das für realistisch?
Jörg Bibow: Was den internationalen Handel angeht, sind solche Lösungen denkbar und sie werden ja auch erprobt. Es gibt Beispiele dafür. Dann sind wir wieder bei den Problemen. Inwieweit sind sich diese Länder wirklich grün? Inwieweit sind sie willig, Risiken einzugehen? Sowohl die Rolle des britischen Pfunds damals als auch die Rolle des Dollars basieren ja nicht auf Abkommen. Wir denken zwar immer noch an das Bretton-Woods-Abkommen zurück und die Bretton-Woods-Institutionen existieren auch noch. Aber im Grunde ist das Dollarsystem heute eines, das ganz zentral auf den Euro-Dollar-Märkten basiert, nicht auf Abkommen zwischen Staaten. Die Überlegung, die BRICS-Staaten könnten so etwas schaffen, basiert ja auf der Vorstellung, dass diese Staaten zusammenkommen und die Regierungen ein Abkommen unterzeichnen. Ich bin skeptisch, dass da so viel bei rauskommen wird.
Carsten Roemheld: Mal eine ganz naive Frage: Braucht man eigentlich überhaupt eine Welt-Leit- oder Reserve-Währung? Oder wäre es nicht auch denkbar, dass wir ein Währungssystem weltweit haben, das fragmentiert ist? Wo viele Währungen vielleicht in bestimmten Teilbereichen eine Rolle spielen, aber keine dominante Leitwährung existiert? Würde das auch funktionieren?
Jörg Bibow: Das kommt darauf an, was man will. Ich meine, wir sind nun in den vergangenen 80 Jahren im Grunde in eine Richtung gegangen: Globalisierung, immer mehr Globalisierung. Wir haben das multilateral veranstaltet über die Bretton-Woods-Institutionen, über die WTO. Wenn man das will, eine global integrierte Welt, dann ist eine einheitliche Währung sehr nützlich. Man sieht die Tendenz dazu auch in anderen Bereichen: Die englische Sprache zum Beispiel hat sich auch weltweit immer mehr durchgesetzt. Weil es Handel, Business, auch Tourismus einfacher macht, wenn man mit einer Sprache überall hinkommt. Genauso ist das mit der Währung. Den Dollar kann man halt überall in der Welt einsetzen. Wenn sich die Welt anders entscheidet, anders entwickeln will, wenn es also zu einer stärkeren Fragmentierung kommt, beginnend im internationalen Handel, wenn die Zölle zwischen den USA und China noch drastisch ansteigen, so dass sich Blöcke bilden und andere Staaten sich entscheiden müssen, wir gehören entweder zu dem Block oder zu dem Block, dann ist das eine völlig andere Situation. Und dann wird das vermutlich auch, was die Finanzströme und das Zahlungssystem angeht, eine entsprechende Fragmentierung nach sich ziehen.
Carsten Roemheld: Ich würde im letzten Themenblock gerne noch auf das Thema digitale Währungen und Geldsysteme der Zukunft eingehen, weil ja auch jetzt im Moment sehr stark an digitalen Währungen gearbeitet wird. Es gibt den digitalen Euro. Es stand auch mal der digitale Dollar zur Debatte, bevor sich da Donald Trump, glaube ich, dagegen entschieden hat. Wie sehen Sie denn den Unterschied zwischen dem digitalen Währungssystem und dem Währungssystem, das wir aktuell haben?
Jörg Bibow: Digitaler Euro? Digitaler Dollar? Diese Fragen stehen durchaus in Verbindung mit den Themen, die wir eben besprochen haben. Sie sind aber auch in gewisser Weise eine separate Entwicklung. Separat in dem Sinne, dass wir in den vergangenen 15 Jahren viele Innovationen, viele neue Technologien, viele neue Spieler erlebt haben, die in den Markt des Zahlungsverkehrs eingedrungen sind. Der traditionell seit, ich sage jetzt mal locker 100 Jahren, eigentlich ziemlich stabil geregelt war. Wir hatten ein Geldsystem, das einerseits auf Staatsgeld basierte, auf Banknoten und Münzen, auf Banken, die Einlagen für das Publikum bereitstellen. Das war das Geldsystem in dieser Phase, und da gab es ein Gleichgewicht. Die Zentralbank hat nur einen kleinen Teil des Geldes produziert.
Bargeld spielt nun schon seit langer Zeit eine untergeordnete Rolle im Vergleich zum Bankengeld. Da ist halt in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren ungemein viel passiert. Und zwar einerseits der Rückgang des Bargeldes im Zahlungsverkehr. Und das bedeutet für die Zentralbanken, dass sie Marktanteile am Geldgeschäft und am Zahlungsverkehr verlieren. Das ist die eine Entwicklung, die wir gesehen haben. Die andere Entwicklung ist, dass neue Geld- oder Zahlungsdienstleistungsanbieter auf den Markt gekommen sind, der vorher immer allein von Banken dominiert war. Da haben wir jetzt Fintechs, Cryptocurrencies und Stable Coins, die teilweise mit dem Bankengeld konkurrieren oder zumindest mit Zahlungsverkehrsdienstleistungen. Das sind Umbrüche im Geldgeschäft, die einerseits das Verhältnis der Banken zur Zentralbank betreffen, andererseits aber auch das Verhältnis der Banken zu neuen Konkurrenten wie den Fintechs.
Der digitale Euro ist eine Initiative, die von der EZB und von der Europäischen Kommission betrieben wird, um einen digitalen Ersatz für Banknoten zu schaffen. Man sieht also, die Banknoten spielen auch hier eine immer kleinere Rolle im Zahlungsverkehr. Man will eine digitale Alternative dafür schaffen, Geld, das dann an das Publikum gegeben wird und eine direkte Forderung gegen die Zentralbank darstellt, wie das ja auch bei Banknoten der Fall ist, die man europaweit überall auch ohne Internetzugang einsetzen kann. Das wird erprobt. Ende des Jahres könnte es in die nächste Phase eintreten. Andere Länder und Regionen haben derartige digitale Währungen bereits vor ein paar Jahren emittiert. Dazu muss man aber sagen, dass sie nicht unbedingt sehr erfolgreich waren. Das sind nun mal neue Geldprodukte. Und da ist dann die Frage: Werden die vom Publikum angenommen? Sieht das Publikum das als eine attraktive Alternative zu bestehenden Zahlungsmitteln an oder nicht?
Carsten Roemheld: Die Chinesen haben das ja schon seit einigen Jahren. Und ich wollte Sie fragen, ob man da sich was abschauen kann oder ob wir Nachteile sehen, die wir vermeiden können bei der Einführung des digitalen Euros?
Jörg Bibow: Nun, der digitale Yuan ist nicht besonders erfolgreich. Er wird vom chinesischen Publikum nicht stark verwendet. Man muss dazu sagen: Die Chinesen haben quasi eine Revolution erlebt in den vergangenen zehn Jahren im Zahlungsverkehr. Ich erinnere mich, als ich das letzte Mal in China war, so um 2012, da war Bargeld noch ungemein wichtig. Inzwischen hat sich das total gewandelt, weil die örtlichen chinesischen Big-Techs Alibaba und Tencent über ihre Apps so attraktive und leicht bedienbare Alternativen zum Bargeld bereitgestellt haben, dass sie den Markt übernommen haben. China hat ein hochmodernes Zahlungssystem heute, das von diesen Big-Techs sehr stark dominiert wird. Dagegen kommt anscheinend der digitale Yuan nicht an. Die Währung der Zentralbank Chinas scheint also nicht wirklich damit konkurrieren zu können.
Carsten Roemheld: Das heißt also, wenn das Zahlungssystem attraktiv genug ist, auf digitale Art und Weise, und wenn man sowieso kein Bargeld mehr braucht, dann braucht man vielleicht auch keine digitale Zentralbankwährung? Sondern kann einfach digital so arbeiten, wie Sie es gesagt haben? Aber mit der digitalen Währung würde man ja auch eingreifen in die Geschäftspolitik der Banken, deren Rolle dann ja fraglich wäre in Zukunft oder deren Businessmodell fast wegfällt, könnte man sagen. Wie sehen Sie das? Ist damit zu rechnen, dass die Banken da ein gehöriges Veto dagegen einlegen würden?
Jörg Bibow: In China haben die Banken gelitten durch die chinesischen Big-Techs, nicht durch die Zentralbank. So ein Problem gäbe es in Europa nicht, weil wir keine vergleichbaren Big-Techs haben und weil auch die amerikanischen Big-Techs, die in Europa so wichtig und mächtig sind, zurzeit keine konkreten Ambitionen haben. Facebook hatte mal eine Zeit lang das Projekt Libra, das war ein heißes Thema vor gut fünf Jahren. Zurzeit nicht. Also es ist eine völlig andere Situation als in China. Würde der digitale Euro den Banken das Geschäft abgrasen? Mein Eindruck ist, dass die EZB sehr vorsichtig ist beim Design des digitalen Euro. Da wird von einer Höchstgrenze von 3.000 Euro gesprochen. Und es geht darum, diesen digitalen Euro im Zahlungsverkehr einzusetzen. Von daher sehe ich das nicht als eine Attacke auf das Bankengeschäft, sondern eher als eine defensive Maßnahme. Die sehen, dass sie Marktanteile verlieren, weil Banknoten eine immer geringere Rolle spielen.
Schauen Sie mal nach Schweden. Da ist der Prozess noch viel weiter vorangetrieben und die versuchen einen Ausgleich dafür zu schaffen. Die Motivationen in den verschiedenen Ländern können ganz unterschiedlich sein in Europa. Die Argumentation der EZB ist da: Man will ein Zahlungsmittel schaffen das im gesamten Euro-Währungsgebiet gilt. Man will weniger verwundbar sein gegenüber ausländischen Akteuren, die in diesem Geschäft agieren. Und dann ist man doch wieder bei den USA, dem Dollar und den großen amerikanischen Institutionen, die in diesem Fall wichtig sind: Mastercard, Visa, PayPal und so weiter. Also die Motivation in verschiedenen Ländern ist sehr unterschiedlich und in Europa ist sie spezifisch. Die EZB will nicht Banken attackieren, sondern ist eher defensiv. Ob es gelingen wird, weiß man nicht, denn so schlecht ist das Zahlungssystem hier nicht. Es wird also nicht so einfach sein, den digitalen Euro zu etablieren. Die Situation ist anderswo eine völlig andere. Wenn Sie nach Afrika gehen, in Länder, wo Menschen keinen Zugang zu Banken haben: Wenn da neue Zahlungsmittel eingeführt werden, sei es über Mobiltelefon oder ähnliches, das kann sich sehr schnell durchsetzen. Da kann auch eine solche Zentralbank-Digital-Currency sehr schnell erfolgreich sein. In Europa wird man sehen, wie das ausgeht.
Carsten Roemheld: Mein Eindruck ist auch, dass in Europa eher skeptisch eingestellt ist zu dem Thema, weil man vielleicht auch vermuten könnte, dass der Einfluss der Zentralbanken auf Kontrollinstrumente noch größer wird. Und das könnte dann vielleicht im nächsten Schritt dazu führen, dass Leute stärker auf Kryptowährungen ausweichen, die nicht der staatlichen Kontrolle unterliegen und sich außerhalb des Systems bewegen. Ist das eine Motivation? Und würde die Zentralbank dann daran arbeiten, Kryptowährungen in ihrer Macht und Reichweite zu begrenzen? Da gibt es doch wahrscheinlich dann einen größeren Konflikt auf Dauer.
Jörg Bibow: Das hängt auch wieder stark vom spezifischen Design des digitalen Euros ab. Meines Wissens wird die EZB darüber grundsätzlich nicht einzelne Zahlungsströme verfolgen wollen. Die Anonymität, wie wir sie bei Banknoten haben, will man im Grunde weitestgehend vergleichbar herstellen. Die EZB würde nur die Echtheit der eingesetzten digitalen Euros prüfen, aber nicht, wer sie gerade wofür einsetzt. Ich denke, das ist ein ganz entscheidender Punkt. Kann man das der Bevölkerung erklären? Wird die Bevölkerung da Vertrauen haben? Um noch mal auf den digitalen Yuan zurückzukommen: Ich kann mir vorstellen, dass die chinesische Bevölkerung da vielleicht in dieser Hinsicht gewisse Zweifel hat, wer welche Informationen zu welchen Zwecken nutzt…
Carsten Roemheld: Zum Abschluss noch mal ein kleiner Ausblick: Wir sehen ja schon eine schleichende Abkehr vom US Dollar. Aber der Verlust des Status als Reservewährung und als dominante Weltleitwährung ist auf absehbare Zeit noch nicht unbedingt zu erkennen. Es gibt Entwicklungen, die digitale Währungen fördern und deren Erfolg man noch nicht ganz abschätzen kann, die aber durchaus in Zukunft eine größere Rolle spielen könnten. Was wäre nun Ihre Idee zur Zukunft, ihr Ausblick für uns als Konsumenten und Investoren?
Jörg Bibow: Langfristig können wir sicher sein: Es wird Wandel geben. Kurzfristig hängt vieles davon ab, wie viel Unsicherheit aus dem Weißen Haus noch kommen wird. Alles, was da bisher geschehen ist, untergräbt das Vertrauen in den Dollar und in Amerika. Das kann den schleichenden Prozess der Entdollarisierung eigentlich nur vorantreiben. Und wie eingangs erwähnt. Das ist alles sehr widersprüchlich. Einerseits will man angeblich den besonderen Status erhalten, andererseits ist er lästig oder wird als lästig empfunden. Also. Wie wird die Sache ausgehen? Ich weiß es wirklich nicht.
Man wird vermutlich noch einige Überraschungen sehen und womöglich wird das nochmals, wie auch schon im April, zu gehörigen Finanzmarktunruhen führen können. Im April schien es ja einen Moment lang mal so, als könne die Situation außer Kontrolle geraten. Man ist dann sehr schnell zurückgerudert, denn die Situation hatte sich halt sehr deutlich zugespitzt. Normalerweise sehen wir, wenn es zu Panik und Stress kommt, eine Flucht in den Dollar. Zum Beispiel 2011. Amerika wurde abgewertet von S&P, die Kreditwürdigkeit wurde herabgestuft, und alles flüchtete in den Dollar. Im April haben wir aber das Gegenteil gesehen. Eine Flucht aus dem Dollar, Flucht aus US-Staatsanleihen und auch aus US-Aktien. Die Aktienmärkte sind ja ebenfalls eingebrochen. Ich denke, das war ein gehöriges Warnzeichen für die Regierung. Vermutlich hat auch der Treasury Secretary sehr schnell am Telefon gesessen mit dem Präsidenten und ihm erklärt, dass das so absolut in die Hose gehen wird. Man ist deshalb zurückgerudert. Aber was das nun konkret für die Zukunft bedeutet, was da noch passieren wird? Das bleibt spannend.
Carsten Roemheld: Das kann man wohl sagen. Da wird uns noch Einiges ins Haus stehen. Und deswegen danke ich Ihnen, Herr Professor Bibow, für dieses spannende Gespräch, für Ihre wunderbaren Einblicke, die uns ein bisschen mehr geholfen haben zu verstehen, wie dieses Weltwährungssystem funktioniert und was wir möglicherweise in Zukunft erwarten können. Ich glaube, das Stichwort Fragmentierung, das ist eines, was uns wahrscheinlich in Zukunft noch öfter begegnen wird. Und das könnte ein Modell sein, mit dem man vielleicht in Zukunft arbeiten muss. Vielen, vielen Dank, Herr Dr. Bibow, für dieses spannende Gespräch.
Jörg Bibow: Vielen Dank, Herr Roemheld.
Carsten Roemheld: Vielen Dank und auch Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlichen Dank für Ihr Interesse.
Ich hoffe, Sie konnten wieder ein paar Gedanken mitnehmen und ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns bei einer der nächsten Ausgaben oder bei einem der vielen anderen Fidelity Formate wiedersehen. Das war's für heute. Herzliche Grüße, Ihr Carsten Roemheld