Viele Unternehmen verzeichnen im inflationären Umfeld aktuell Rekordgewinne. Die Löhne der Arbeitnehmer profitieren dagegen nur geringfügig von den Margensteigerungen. Nachhaltigkeitsorientierte Unternehmen sollten diese Diskrepanz nicht ignorieren.

Der Begriff „Gierflation“ kursiert derzeit in den Medien. Viele Unternehmen stehen in der Kritik, die hohen Inflationsraten zur Profitmaximierung zu nutzen. Es ist von Übergewinnen die Rede, von Krisenprofiteuren und künstlicher Preistreiberei. Vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments meldete sich nun auch EZB-Chefin Christine Lagarde zu Wort.1 Ihr Vorwurf: Einige Unternehmen hätten die gestiegenen Kosten für Energie und Rohstoffe nicht nur vollständig an Kunden weitergegeben, sondern ihre Preise sogar weit über den Kostendruck hinaus erhöht – und damit die Inflation zusätzlich angeheizt.

Starke Preissteigerungen stellt die Verbraucherzentrale NRW zum Beispiel in der Nahrungsmittelbranche fest. Zwischen Mai 2022 und Mai 2023 sind Lebensmittel um 14,9 Prozent2 teurer geworden. Mit den Preisen stiegen auch die nominalen Umsätze vieler Unternehmen. Gleichzeitig legten aber auch die operativen Margen kräftig zu. Trotz schwieriger Wirtschaftslage fiel die Gewinnsaison daher für einige Firmen in diesem Jahr äußerst positiv aus.

Ob das Profitstreben der Wirtschaft tatsächlich den Kampf gegen die Inflation erschwert, wie von Christine Lagarde beklagt, hat das ifo Institut für Wirtschaftsforschung genauer untersucht.3 Das Ergebnis: Die Gewinnaufschläge der Unternehmen sind nach den gestiegenen Rohstoff- und Energiekosten immerhin zweitgrößter Inflationstreiber. Kaum ins Gewicht fielen hingegen höhere Löhne und Gehälter von Beschäftigten.

Lohnentwicklung als Nachhaltigkeitsthema

Wer die langfristigen Krisenprofiteure sind, lässt sich aktuell wohl nicht beantworten. Dass „Gierflation“ ein reales Phänomen ist, steht hingegen fest. Und dass Arbeitnehmer derzeit die großen Verlierer der Teuerungen sind, scheint ebenfalls auf der Hand zu liegen. Eine Lohn-Preis-Spirale ist bisher jedenfalls ausgeblieben, da Gehälter nicht in dem Maße gestiegen sind, wie es viele Arbeitgeberverbände befürchtet hatten. Eine solche Spirale könnte allerdings noch folgen, sollten Beschäftigte nach erheblichen Reallohn- und Kaufkraftverlusten einen dauerhaft höheren Lohndruck auf Unternehmen ausüben.

Die ungleiche Verteilung von Profiten ist ein langjähriger Trend. Seit Jahrzehnten verbessern Unternehmen konstant ihre Wirtschaftsleistung und erzielen höhere Erträge pro Arbeitsstunde. Laut Berechnungen des Economic Policy Institute4 stieg die Nettoproduktivität der US-Wirtschaft von 1979 bis 2020 um 61,8 Prozent. Die Löhne von nicht leitenden Beschäftigten stiegen in diesem Zeitraum hingegen inflationsbereinigt nur um durchschnittlich 17,5 Prozent.

Diese Entwicklung sollte Unternehmen alarmieren, die ökologische und soziale Nachhaltigkeit sowie verantwortungsvolles Management in ihrer Firmen-Agenda fest verankert haben. Faire Mitarbeitergehälter spielen in ESG-Strategien eine wichtige Rolle. Ziel vieler Unternehmen ist es zum Beispiel, die sogenannte Gender-Pay-Gap zu schließen, also das geschlechterspezifische Lohngefälle zwischen Männern und Frauen. Die Diskrepanz zwischen Gewinnwachstum, von dem vor allem Investoren profitieren, und nur langsam steigenden Löhnen kann angesichts des Vorwurfs der „Gierflation“ mit Reputationsrisiken verbunden sein.

Fazit

Viele Unternehmen haben kräftig an der Preisschraube gedreht und konnten hohe Profite einstreichen, was die Inflation weiter befeuerte. Große Verlierer der Teuerungen sind Arbeitnehmer, deren Gehälter kaum an den Margensteigerungen partizipierten. Aufgabe von ESG-Strategien der Unternehmen wird es künftig sein, ihren Ansprüchen auf soziale Nachhaltigkeit gerecht zu werden und dem zunehmenden Gefälle zwischen Gewinn- und Lohnwachstum entgegenzuwirken.

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