Der chinesische Aktienmarkt hat sich 2025 eindrucksvoll zurückgemeldet. Je mehr Fahrt der Aufschwung aufnimmt, desto lauter wird die Frage: Wann kommt die Zeit, wieder auf die Bremse zu treten? Denn in China liegen Boom und Blase oft besonders nah beieinander.

Der chinesische Aktienmarkt erlebt seit Jahresbeginn ein erstaunliches Comeback. So hat der Shanghai Composite Index sein höchstes Niveau seit zehn Jahren erreicht. Anfang September lag Chinas Leitaktienindex CSI 300 mehr als 20 Prozent über seinem Jahrestief.1 Die Performance basiert auf mehreren Faktoren: Ein Mix aus gezielten staatlichen Stützungskäufen, Kapitalzuflüssen aus Versicherungen und Investmentfonds, neuen Konsumtrends und einer hohen Innovationsdynamik – insbesondere im Bereich der künstlichen Intelligenz – beflügelt die Kurse.

Ein zusätzlicher Treiber ist das hohe Maß an Ersparnissen in chinesischen Haushalten. Über 160 Billionen Yuan (rund 22 Billionen US-Dollar) lagern auf privaten Konten und fließen zunehmend in Chinas Aktienmärkte. Die niedrigen Zinsen machen Einlagen unattraktiver, sodass die Suche nach neuen Renditequellen zunimmt. Gleichzeitig vertrauen immer mehr Anlegerinnen und Anleger auf den sogenannten „Xi-Put“: Sie erwarten, dass die chinesische Führung unter Machthaber Xi Jinping den Markt bei Rückschlägen stützt.2

Auch das weltweite makroökonomische Umfeld erweist sich als günstig. Der lange Zeit als selbstverständlich betrachtete US-Exzeptionalismus gerät ins Wanken. Angesichts politischer Unsicherheiten und der mittelfristigen Folgen der US-Zolloffensive erscheinen die hohen Bewertungen am US-Aktienmarkt immer weniger gerechtfertigt. Diversifizierung ist daher ein Gebot der Stunde: Anlegerinnen und Anleger suchen gezielt nach Alternativen zu den USA. Dazu gehört vor allem China, das mit vergleichsweise günstigen Kurs-Gewinn-Verhältnissen und attraktiven Wachstumsperspektiven überzeugt.

Angst vor der Überhitzung 
So beeindruckend Chinas Comeback auch ist, es wäre fahrlässig, die zentralen Risiken der jüngsten Kursanstiege auszublenden. Die Geschichte der chinesischen Aktienmärkte ist geprägt von Boom-and-Bust-Zyklen mit starken Ausschlägen: Auf euphorische Anstiege folgten immer wieder abrupte Rückschläge.3 Derzeit werden erhebliche Teile der Kursgewinne über Leverage-Käufe erzielt – also mit geliehenem Geld. Das Volumen dieser Kredite ist so hoch wie seit 2015 nicht mehr.4 Das Fremdkapital wirkt sich nicht nur die Eigenkapitalrenditen aus, sondern verstärkt auch Verluste. Das Risiko von Kettenreaktionen wächst.

Die Folgen des Crashs von 2015 sind bis heute spürbar. Damals verloren Millionen Kleinanlegerinnen und -anleger in China innerhalb weniger Wochen große Teile ihrer Ersparnisse. Die Regulierungsexpertinnen und -experten wollen eine erneute Überhitzung verhindern: Zuletzt war von Insider-Informationen über mögliche Gegenmaßnahmen die Rede, darunter eine strengere Kontrolle der kreditfinanzierten Margin-Tradings, Einschränkungen für spekulative Geschäfte und neue Regeln für Online-Handelsplattformen. Laut den Berichten steht auch eine Lockerung von Leerverkaufsbeschränkungen im Raum, um plötzlichen Rückschlägen besser begegnen zu können.1

Eine entscheidende Rolle spielt dabei Chinas Geldpolitik. Die chinesische Zentralbank hält sich aus Sorge vor einer Spekulationsblase mit weiteren Zinssenkungen und zusätzlicher Liquidität zurück.5 Zwar gäbe es makroökonomische Argumente für Lockerungen, doch das Trauma von 2015 sitzt tief. Die Staatsführung setzt deshalb lieber auf gezielte fiskalische Impulse und bremst sanft, um die Märkte zu stabilisieren.

Fazit
Chinas Börsenrally überzeugt aktuell mit hoher Dynamik, Kapitalzuflüssen und Innovationskraft. Doch die Erfahrung zeigt: In der Volksrepublik liegen Aufschwung und Rückschlag dicht beieinander. Hohe Leverage-Quoten, Boom-Bust-Muster und eine zurückhaltende Geldpolitik mahnen zur Vorsicht. Die chinesische Staatsführung will keine grenzenlose Euphorie zulassen und steuert einer Überhitzung bewusst entgegen. Wer investieren möchte, sollte Chancen und Risiken sorgfältig abwägen – und selbst bereit sein, rechtzeitig auf die Bremse zu treten.

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Carsten Roemheld

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Carsten Roemheld

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