Künstliche Intelligenz und Verteidigung, die stärksten Markttreiber des Jahres, sind gleichermaßen auf Rohstoffe angewiesen, die fast völlig unter Chinas Kontrolle stehen. Der Westen muss handeln, bevor strategische Abhängigkeit zur Wachstumsbremse wird.

Ende Oktober kam es im Handelsstreit zwischen China und den USA zur nächsten Annäherung. Beim Gipfeltreffen in Busan verständigten sich der chinesische Präsident Xi Jinping und der US-amerikanische Präsident Donald Trump auf eine vorläufige Entspannung. Neben Halbleitern und Strafzöllen standen dabei auch kritische Rohstoffe im Fokus: Chinas Machthaber kündigten an, die Exportbeschränkungen für Technologiemetalle und Seltene Erden auszusetzen. Im Gegenzug senkten auch die USA ihre Strafzölle.¹ Beide Maßnahmen gelten zeitlich befristet. 

Für die USA ist dieser Deal deshalb so relevant, weil sie für viele der Rohstoffe keine weiteren Anbieter haben. Dabei handelt es sich um klassische Dual-Use-Waren, die sowohl in zivilen als auch militärischen Anwendungen unverzichtbar sind. Beispiele sind Gallium für Mikrochips, Germanium für Glasfasern und Nachtsichtgeräte sowie Neodym für Magneten in Elektromotoren und Verteidigungssystemen. Auch wenn der Markt für die sogenannten seltenen Erden im Produktionswert vergleichsweise klein ist – er ist rund 33-mal kleiner als etwa der globale Kupfermarkt –, ist ihre strategische Bedeutung damit kaum zu überschätzen.²

In einem Jahr, das von geopolitischen Spannungen, dem KI-Boom und steigenden Verteidigungsausgaben geprägt ist, ist die Rohstoffsicherheit entscheidend für die Innovationskraft und die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit. Entsprechend deutlich steigen die Preise: Laut vbw-Rohstoffpreisindex legten die Preise für seltene Erden im dritten Quartal um über acht Prozent zu, nachdem sie im Vorquartal um fast neun Prozent gestiegen waren.³  

Bestreitbare Monopolstellung 
Aktuell machen sich westliche Industrieunternehmen allerdings weniger Sorgen über steigende Preise als vielmehr darüber, dass China neuerdings offenbar bereit ist, seine Rohstoffmacht strategisch einzusetzen. Chinas Vormachtstellung beruht dabei nicht auf geologischen Zufällen, sondern auf jahrzehntelanger Industriepolitik. Denn seltene Erden gibt es, anders als der Name vermuten lässt, auch anderswo. Ihre Förderung und Verarbeitung sind jedoch kapitalintensiv, technologisch anspruchsvoll und regulatorisch aufwendig, um nicht zu sagen: ein recht schmutziges Geschäft. Über Jahre war es bequem, all das in die Volksrepublik auszulagern. Das Ergebnis: China kontrolliert heute nahezu 70 Prozent des weltweiten Abbaus und bis zu 90 Prozent der Verarbeitung seltener Erden.⁴ 

Diese Abhängigkeit soll verringert werden, doch der Prozess verläuft womöglich nicht schnell genug. So will die EU gemäß dem Critical Raw Materials Act bis zum Jahr 2030 zehn Prozent des eigenen Bedarfs fördern, 40 Prozent verarbeiten und 25 Prozent recyceln.⁵ Im Jahr 2023 wurde in Schweden das bislang größte bekannte Vorkommen an Seltene-Erden-Oxiden in Europa entdeckt.⁶ Seitdem arbeitet das Bergbauunternehmen LKAB mit Hochdruck an der Erschließung. Währenddessen fährt der Chemiekonzern Solvay in Frankreich gerade eine stillgelegte Verarbeitungsanlage wieder hoch.⁷ 

Parallel dazu fließt viel Kapital in den Aufbau alternativer Lieferketten. So stellt beispielsweise JP Morgan zehn Milliarden US-Dollar für strategische Beteiligungen bereit, unter anderem an Unternehmen entlang der Rohstoffaufbereitungskette.⁸ Gleichzeitig formieren sich staatlich-private Allianzen: Die US-Regierung, der Staatsfonds von Abu Dhabi und der Private-Equity-Fonds Orion Research Partners haben kürzlich ein Konsortium gegründet, das zunächst 1,8 Milliarden US-Dollar in produktionsreife Projekte zur Förderung und Verarbeitung kritischer Rohstoffe investieren soll.⁹ Das „Orion Critical Mineral Consortium“ soll später auf bis zu fünf Milliarden US-Dollar anwachsen und die Versorgung der USA und verbündeter Staaten langfristig absichern. Selbst mit ausreichend Kapital lässt sich die Zeit indes nicht abkürzen: Laut Rohstoffexperten von Goldman Sachs braucht eine Mine im Durchschnitt rund zehn Jahre, bis sie in Produktion geht und eine Raffinerie etwa fünf Jahre.²

Fazit
Für Anlegerinnen und Anleger ergibt sich aus der Lage kein kurzfristiger Rohstoff-Trade, sondern vielmehr ein strategisches Investmentthema. Wer weiterhin auf die großen Markttreiber der vergangenen Monate wie künstliche Intelligenz, Elektromobilität, Verteidigung und Energie setzt, kommt nicht umhin, sich mit der Frage nach gesicherter Versorgung und Lieferketten auseinanderzusetzen. Rohstoffe stehen dabei selten im Rampenlicht. Doch sie entscheiden darüber, welche Industrien ihre Wachstumsversprechen einlösen können und welche nicht.

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Carsten Roemheld

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Giselle Lai

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